Raven - Schattenreiter (6 Romane)
den Körper und versuchte, Mallory die Füße ins Gesicht zu stoßen.
Der Gangster fing die Bewegung mit beinahe spielerischer Leichtigkeit ab, lachte schrill und versetzte Raven einen Stoß, der diesen halbwegs über das Treppengeländer beförderte.
»Und jetzt«, keuchte er, »flieg, Vögelchen!«
Für einen endlosen, schrecklichen Moment schien Raven schwerelos in der Luft zu schweben. Er schrie auf, griff blind um sich und bekam das metallene Treppengeländer zu fassen. Sein Körper pendelte weit über den Abgrund hinaus.
Der Ruck schien ihm fast die Arme aus den Gelenken zu reißen. Aber er hielt sich verzweifelt fest, versuchte den Schmerz zu ignorieren und klammerte sich mit aller Kraft am Geländer fest. Seine Beine pendelten im Leeren. Unter ihm war nichts, nichts außer einem sechs Stockwerke tiefen Abgrund und hartem Beton.
Mallory lachte schrill. »Ganz schön zäh, unser Kleiner, nicht?«, sagte er zu seinem Kumpan. »Ich fürchte, wir müssen noch mehr nachhelfen.« Seine Hand glitt in die Tasche und kam mit dem Stilett wieder zum Vorschein. Er legte die blitzende Klinge auf Ravens Finger. »Mal sehen, wie lange er mitspielt«, gluckste er.
Die Tür in seinem Rücken wurde so heftig aufgestoßen, dass ihre Kante den zweiten Gangster von den Füßen riss. Mallory fuhr mit einem überraschten Aufschrei herum. Unter dem hell erleuchteten Durchgang war eine schmale schwarze Silhouette erschienen. Mallory knurrte wütend, schwang sein Messer wie einen Degen und sprang geduckt auf den Mann zu.
Es ging alles so schnell, dass Raven hinterher nicht mehr genau zu sagen wusste, was überhaupt passiert war. Die Gestalt unter der Tür machte eine blitzschnelle Bewegung. Mallory schrie auf, torkelte zurück und prallte gegen das Geländer. Einen Moment lang kämpfte er verzweifelt um sein Gleichgewicht, dann kippte er hintenüber und verschwand lautlos in der Tiefe.
Der zweite Gangster versuchte auf die Füße zu gelangen und sackte mit einem seufzenden Laut in sich zusammen, als der Unbekannte ein zweites Mal zuschlug.
»Halten Sie aus, Raven!«, keuchte eine Stimme, die ihm irgendwie bekannt vorkam. Die Gestalt eilte auf ihn zu, tastete nach seinen Handgelenken und zog ihn mit einer einzigen kraftvollen Bewegung auf den Treppenabsatz zurück.
Raven sank mit einem unterdrückten Schmerzenslaut in die Knie. Zwischen ihm und dem Tod hatten wirklich nur noch Sekunden gestanden. Auch ohne Mallorys Bemühungen hätte er sich nur noch wenige Augenblicke halten können.
Er keuchte, massierte seine schmerzenden Gelenke und sah mühsam auf.
Der Anblick ließ ihn für einen Moment sogar seine Schmerzen vergessen.
»Wilburn!«, keuchte er. »Sie?!«
Wilburn nickte zaghaft. »Ich - ich bin gerade noch rechtzeitig gekommen, wie?«, fragte er mit einem unsicheren Lächeln.
»Rechtzeitig?«, keuchte Raven. »Mann, ich habe mich noch nie im Leben so gefreut, jemanden zu sehen wie Sie! Aber - aber wieso ...?« Er schüttelte verwirrt den Kopf, kam ins Stottern und setzte neu an. »Wieso leben Sie?«, stieß er schließlich hervor. »Ich meine, Sie ... Ich habe doch ...«
Wilburn winkte ab. »Sie haben mich für tot gehalten, ich weiß«, sagte er niedergeschlagen. »Merlin hat dafür gesorgt. Aber ich lebe, wie Sie sehen. Und wir sollten vielleicht von hier verschwinden, ehe es auch noch andere sehen.«
Raven rührte sich nicht von der Stelle. »Wie haben Sie das gemacht?«, fragte er mit einem ungläubigen Blick auf den reglos ausgestreckten Gorilla.
Wilburn zuckte unglücklich die Achseln und hob dann die Hände vors Gesicht, als sähe er sie zum ersten Mal. »Ich weiß es nicht«, gestand er. »Ich - ich habe einfach gehandelt, ohne nachzudenken. Ich weiß es wirklich nicht, Mr. Raven. Merlin sagte, er habe dafür gesorgt, dass ich sicher bin, aber ...«
Er brach verwirrt ab, starrte erneut seine Hände an und schüttelte immer wieder den Kopf, als könne er selbst am wenigsten begreifen, was geschehen war.
»Mein Gott«, stöhnte er plötzlich. »Er ist tot. Dieser Mann ist tot! Ich habe ihn umgebracht!«
»Das war Notwehr. Außerdem haben Sie mir das Leben gerettet. Also erwarten Sie bitte nicht, dass ich Ihnen deswegen Vorwürfe mache«, sagte Raven. Er trat auf Wilburn zu, legte ihm die Hand auf die Schulter und schob ihn sanft durch die Tür. »Kommen Sie! Der Lärm hat garantiert ausgereicht, das halbe Haus aufzuwecken. Wir sollten verschwinden, ehe die Polizei auftaucht. Wir haben später genug Zeit,
Weitere Kostenlose Bücher