Raven - Schattenreiter (6 Romane)
schwarzer Polizeiuniformen gehüllt, und die Hand der einen war noch nach dem Funkgerät ausgestreckt und ruhte auf dem vermoderten Hörer, als hätte sie der Tod mitten in der Bewegung überrascht.
»Mein Gott!«, entfuhr es Freeland. »Das ist doch unmöglich. Ich - ich träume. Das kann nur ein Traum sein.«
Sanders schüttelte mühsam den Kopf. Auch auf seinem Gesicht spiegelte sich das Grauen, das er empfand, aber seine Stimme klang erstaunlich kühl, als er antwortete. »Ich fürchte, es ist kein Traum, Constabler. Sehen Sie dorthin!«
Eine schmale, in einen ärmellosen weißen Kittel gekleidete Gestalt lehnte vor ihnen an der Schaufensterscheibe eines Juweliergeschäftes und starrte zu ihnen herüber.
»Das muss er sein«, murmelte Sanders. »Wilburn.«
Freeland blickte unsicher auf das vermoderte Autowrack vor sich, dann wieder auf die schmale Gestalt, die mit vor der Brust verschränkten Armen an der Scheibe lehnte. Selbst über die Entfernung von mehr als fünfzig Metern glaubte Freeland den stechenden Blick des Mannes zu spüren. Plötzlich hatte er Angst, eine irrsinnige, grauenhafte Angst wie nie zuvor in seinem Leben.
»Gehen Sie ... zum Wagen, Sanders«, sagte er mit mühsam beherrschter Stimme. »Rufen Sie Verstärkung herbei! Schnell!«, fügte er etwas lauter hinzu, als Sanders zögerte. »Beeilen Sie sich!«
Sanders wich rückwärts gehend zum Streifenwagen zurück. Der Lichtkreis seiner Taschenlampe war weiterhin starr auf die weiß gekleidete Gestalt vor ihnen gerichtet, aber das Licht schien irgendwie aufgesogen, absorbiert zu werden, sodass sie keine Einzelheiten erkennen konnten.
Freeland nahm all seinen Mut zusammen und machte einen zögernden Schritt auf Wilburn zu. Sein Herz hämmerte, und er musste all seine Willenskraft aufbieten, um nicht schreiend davonzulaufen.
Das Sirenengeheul hinter ihnen wurde lauter, und auch aus der entgegengesetzten Richtung näherte sich nun ein Streifenwagen. Die Straße war jetzt schon abgeriegelt. Wilburn hatte nicht die geringste Chance zu entkommen. Jedenfalls nicht unter normalen Umständen, schränkte Freeland in Gedanken ein.
Die Gestalt bewegte sich, als er noch etwa zwanzig Schritte von ihr entfernt war.
»Bleiben Sie stehen!«, rief Freeland.
Ein leises, böses Lachen antwortete ihm. Wilburn stieß sich mit einer kraftvollen Bewegung von der Scheibe ab, drehte sich herum und begann ohne sonderliche Hast oder Eile die Straße hinunterzugehen.
»Stehen bleiben!«, befahl Freeland noch einmal. »Sie - Sie sind verhaftet!«
Zu seiner Verwunderung blieb Wilburn tatsächlich stehen und drehte sich um. »Machen Sie sich nicht lächerlich, Constabler«, sagte er leise. Seine Stimme klang schrill und unangenehm, kaum wie die eines Menschen, fand Freeland. »Verschwinden Sie, bevor Ihnen das Gleiche passiert wie Ihren Kollegen!«
Freeland schrie entsetzt auf, als sich Wilburn vollends herumdrehte. Sein Gesicht war eine verzerrte Grimasse, grau und mit der rissigen, trockenen Leichenhaut einer Mumie. Einzig die Augen darin schienen zu leben, wenn auch auf eine boshafte, teuflische Art.
»Verschwinden Sie!«, zischte der Alte noch einmal.
Freeland stieß einen würgenden Schrei aus und warf sich mit ausgebreiteten Armen auf den Wahnsinnigen.
Sie stürzten zu Boden, rollten aneinandergeklammert über den Gehsteig und prallten schließlich gegen eine Fensterscheibe.
Wilburns Finger legten sich mit riesiger Kraft um seine Handgelenke und drückten zu. Freeland schrie vor Schmerz, warf sich zurück, wand sich unter dem Griff dieser dürren Klauen und strampelte verzweifelt mit den Beinen. Das Sirenengeheul war lauter geworden. Die anderen Wagen konnten nur noch Sekunden entfernt sein. Nur noch wenige Sekunden, die er diesem Griff standhalten musste.
Aber auch Wilburn schien die Gefahr zu bemerken. Er fuhr auf, stieß Freeland mit einer kraftvollen Bewegung zu Boden und sprang mit einem Satz auf die Füße. Der Blick seiner kleinen, boshaften Augen irrte über die Straße und sog sich für Sekunden an dem zuckenden Blaulicht fest, das an der Kreuzung aufgetaucht war. Er krächzte wütend, fuhr herum und prallte zurück, als wäre er gegen eine unsichtbare Wand gelaufen. Auch am unteren Ende der Straße war ein Polizeiwagen aufgetaucht, der sich nun mit gellender Sirene und kreischenden Reifen näherte.
»Geben Sie auf, Wilburn!«, keuchte Freeland. »Sie haben keine Chance!«
Wilburn lachte schrill. »Narr!«, schrie er. »Aber du hast es ja
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