Raven - Schattenreiter (6 Romane)
wovon ich rede. Ich habe mit ihm gekämpft, auf Leben und Tod. Und die Schnitte an meinen Händen stammen von seinem Säbel.«
Janice antwortete nicht, aber in ihren Augen stand ein seltsamer, undeutbarer Ausdruck.
»Du glaubst mir nicht«, sagte Raven leise.
»Glauben!« Janice schüttelte den Kopf. »Ich war zufällig auf dem Weg nach draußen, um zu sehen, wo du bleibst, als der Manager auftauchte. Und ich habe gesehen, wie sie dich überwältigt haben. Es tut mir leid, aber - da war kein Reiter. Du warst allein.«
Raven schloss entsetzt die Augen. Natürlich. Der Unheimliche zeigte sich nur seinen Opfern. Außenstehende konnten ihn nicht sehen, für sie war er unsichtbar, unfühlbar, nicht vorhanden. Für alle anderen musste es so aussehen, als wäre er plötzlich verrückt geworden.
Er hörte, wie Janice aufstand und leise zur Tür ging. »Ich komme morgen früh wieder«, sagte sie zum Abschied. »Schlaf jetzt!«
Raven antwortete nicht. Nicht einmal sie glaubte ihm. Selbst Janice hielt ihn für übergeschnappt.
Aber er war nicht verrückt. Er hatte einen Kampf auf Leben und Tod mit dem Unheimlichen ausgefochten, und er wusste, dass der Schattenreiter wiederkommen würde, um ihn zu töten.
Und diesmal war er hilflos.
Ein ungeheuer deprimierendes Gefühl der Machtlosigkeit breitete sich in ihm aus.
Wie viel Zeit bleibt mir noch?, dachte er. Eine Stunde? Zwei? Oder war er schon hier, lauerte er schon unsichtbar neben seinem Bett, den Säbel zum letzten Schlag erhoben?
Nein, er würde nicht warten. Er musste weg. Er würde sich noch eine Weile ausruhen und dann fliehen, ganz egal, was Palmer ihm prophezeit hatte. Es war besser, irgendwo zu verbluten, als untätig dazuliegen und darauf zu warten, umgebracht zu werden.
Zu Anfang war es ihm schwergefallen, aber Carol hatte sich als geduldige und ruhige Zuhörerin erwiesen, und nach den ersten, zögernd hervorgebrachten Sätzen hatte er einfach alle Hemmungen über Bord geworfen und ihr die ganze Geschichte erzählt.
Seltsamerweise schien sie ihm zu glauben.
»Das ist - schrecklich«, sagte sie, als er fertig war und sich erschöpft zurücklehnte.
»Schrecklich ist gar kein Ausdruck. Es ist die Hölle. Aber es gibt keinen Ausweg. Paul und ich haben uns mit Mächten der Finsternis eingelassen, und wir müssen den Preis bezahlen. Jeder auf seine Weise.« Er stockte, trank einen großen Schluck Whisky und sah ihr ernst in die Augen. »Ich habe mich schon den ganzen Tag über gefragt, ob Paul nicht der Glücklichere von uns beiden ist.«
»Paul ist tot.«
»Aber er hat es hinter sich. Ich glaube, er hat genau gewusst, was ihm bevorstand. Seltsam - ich habe Paul immer für einen Feigling gehalten. Aber es sieht fast so aus, als wäre ich der Feigling.«
»Warum? Weil du nicht aufgibst?«
Jeffrey lachte. »Ich habe schon lange aufgegeben, Carol. Der Feigling bin ich. Paul hatte den Mut, für das einzustehen, was er getan hat. Ich habe diesen Mut nicht.«
»Du hast auch nicht den Mut, jemanden zu töten«, sagte Carol sanft. »Du bist kein Mörder.«
»Ich bin kein Mörder?« Plötzlich schrie er. »Weißt du, dass ich dich schon beinahe getötet hätte? Dass ich schon mit dem Messer hinter dir stand?«
»Aber du hast es nicht getan. Ich weiß, dass du es nicht tun kannst. Und deshalb bleibe ich auch.«
»Du - bleibst?«, echote Jeffrey fassungslos.
Sie nickte, als wäre es die natürlichste Sache der Welt. »Natürlich. Ich werde hierbleiben und dir helfen. Wir werden den Kampf gemeinsam aufnehmen. Zusammen sind wir stärker als dieser Dämon.«
»Du wirst gehen!«, sagte Jeffrey hart.
»Ich bleibe.«
»Du wirst gehen! Ich werde dich hinauswerfen, wenn du nicht freiwillig gehst, Carol. Ich will nicht, dass dir etwas zustößt.«
»Und du? Was tust du, wenn ich wirklich gehe? Willst du hierbleiben und dich genauso umbringen lassen wie Paul?«
Jeffrey schüttelte entschlossen den Kopf. »Nein. Es gibt eine andere Möglichkeit. Dir wird nichts geschehen, Liebling. Und mir auch nicht.«
Sie wussten beide, welche andere Möglichkeit er meinte. Aber keiner von ihnen brachte den Mut auf, es laut auszusprechen.
Das Anziehen war eine Qual. Raven hatte sich niemals Gedanken darüber gemacht, wie es sein musste, seine Hände nicht gebrauchen zu können. Jetzt bekam er es am eigenen Leib demonstriert. Er brauchte fast eine halbe Stunde, um Hemd und Hose anzuziehen, und er machte dabei einen Lärm, dass es eigentlich ein Wunder war, dass nicht die ganze
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