Raven - Schattenreiter (6 Romane)
unglaublicher Müdigkeit. Er hatte sich noch nicht weit genug erholt, um noch einmal einen solchen Kampf durchstehen zu können.
Er musste diese Tür erreichen, koste es, was es wolle.
Mit einer blitzschnellen, verzweifelten Bewegung warf er sich nach vorne. Der Schwertstreich des Schattenreiters kam viel zu spät; offenbar hatte er nicht damit gerechnet, dass Raven direkt auf ihn zulaufen würde.
Raven stürzte durch den nebelhaften Körper des Dämons hindurch. Für einen kurzen, schrecklichen Moment verspürte er ein Gefühl unglaublicher Kälte, als er in die dunklen, wallenden Schatten eindrang. Dann war er hindurch und an der Tür.
Ein fürchterlicher Schmerz zuckte durch seine Hände, als er die Klinke herunterdrückte und die Tür aufriss. Dahinter lag eine schmale, dunkle Treppe, die in steilen Windungen in die Tiefe führte.
Er rannte hinunter. Die Stufen waren schmal und ausgetreten; Moder und Feuchtigkeit bildeten einen schmierigen, gefährlichen Belag, und aus der Tiefe schlug ihm das dumpfe Wummern laufender Maschinen entgegen.
Raven wusste, dass es hier unten im Heizungskeller ein Labyrinth von engen Stollen und Gängen gab. Schmale Tunnels, die mit den Leitungen der Heizungs- und Müllverbrennungsanlage vollgepfropft waren. Vielleicht hatte er eine Chance, seinem Verfolger in diesem Irrgarten zu entkommen.
Er hörte einen wütenden Schrei hinter sich. Als er den Fuß der Treppe erreicht hatte, erklang hinter ihm das harte Scheppern von Pferdehufen auf Beton.
Aber der Dämon schien Schwierigkeiten zu haben, sein Tier die schmale, rutschige Treppe hinunterzubringen.
Ein niedriger, kaum beleuchteter Gang nahm Raven auf. Schenkeldicke Leitungen zogen sich wie surrealistische Schlangen an der Decke entlang. Er stolperte über einen achtlos liegen gelassenen Werkzeugkasten, stieß einen unterdrückten Fluch aus und taumelte weiter. Feuchte, hitzegeschwängerte Luft schlug ihm entgegen. Aus einem undichten Rohr tropfte Wasser, und aus einem der angrenzenden Räume drang das dumpfe Brausen des Heizungskessels zu ihm hinüber.
Er tauchte in einen Seitengang ein, der so schmal war, dass seine Schultern rechts und links gegen den Beton stießen, sah sich gehetzt um und lief weiter.
Es musste hier irgendwo einen zweiten Ausgang geben. Vielleicht hatte er eine Chance, ins Freie zu entkommen, während sich sein Verfolger noch durch die verwinkelten Gänge quälte.
Wie auf ein Stichwort tauchte in diesem Moment der Schattenreiter hinter ihm auf. Er saß tief vornübergebeugt auf seinem Pferd, starrte Raven aus brennenden Augen an und schwang drohend seinen Säbel.
»Du entkommst mir nicht«, zischte er. Er presste seinem Tier die Schenkel in die Seiten, zwang es herum und drang langsam in den Gang ein, in den sich Raven geflüchtet hatte.
Aus!, zuckte es durch Ravens Kopf. Der Gang war eine Sackgasse, aus der es kein Entkommen mehr gab. Er presste sich verzweifelt gegen den feuchten, glitschigen Beton. Der Dämon schien Schwierigkeiten zu haben, sein bockendes Tier durch den engen Stollen zu treiben, aber er kam immer näher.
Und dann geschah etwas Seltsames.
Der Schattenreiter erstarrte. Er legte den Kopf auf die Seite, schloss die Augen und schien zu lauschen. Auf seinen Zügen erschien ein ärgerlicher, wütender Ausdruck.
»Dieser Narr!«, zischte er. Sein Blick bohrte sich wütend in Ravens Augen. »Du kommst ein zweites Mal davon, Raven«, sagte er wütend. »Aber freu dich nicht zu früh! Ich komme wieder.«
Seine Gestalt schien plötzlich zu zerfließen, löste sich zuerst in wirbelnde, dunkle Schleier auf und verschwand dann ganz.
Raven starrte fassungslos auf die Stelle, an der der Dämon Sekunden zuvor noch gestanden hatte. Im ersten Moment spürte er nichts als Erleichterung.
Irgendetwas war geschehen, etwas, das so wichtig für den Schattenreiter sein musste, dass er die Verfolgung aufgab.
Und es gab eigentlich nur eine logische Erklärung.
Candley.
Raven lauschte einen Moment lang auf den wütenden, pulsierenden Schmerz in seinen Händen, ehe er sich von der Wand abstieß.
Er musste zu Candley.
Der Londoner Hyde Park ist einer der wenigen Orte in der Millionenstadt, in denen das Leben nachts wirklich zum Erliegen kommt. Das weite, baumbestandene Areal der Grünanlage lag wie eine Insel der Ruhe und Dunkelheit im Lichtermeer der Stadt, und die wenigen trüben Laternen, die entlang des Themseufers und der gewundenen Spazierwege leuchteten, schienen die Dunkelheit ringsum eher
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