Raven (Shadow Force) (German Edition)
„Noch ein Foto, bitte recht freundlich.“ Dexter und Carol stellten sich neben ihr Bett und Tommy Merino, der Pressefotograf des Guardian und nach eigenen Angaben größter Fan von Arsenal London machte weitere Fotos. Sie zwang sich erneut zu einem Lächeln.
„Muss das sein?“ Sie zog die Bettdecke bis zu ihrem Kinn.
Sie hasste es, fotografiert zu werden. Auf Fotos sah sie irgendwie doof und viel zu dick aus.
„Es muss.“ Tommy zwinkerte ihr gewinnend zu. „Wann bekomme ich dich sonst im Pyjama und im Bett zu sehen?“
„Wahrscheinlich nie“, unterbrach ihn Carol unsanft. „Hör endlich auf zu träumen und komm auf den harten Boden der Tatsachen zurück.“
„Was meinst du damit?“ Lianne verstand die Worte nicht, bis Carol die Augen genervt verdrehte und Tommy wie eine Kirschtomate errötete. Dabei war er sonst eher ein blasser und unauffälliger Typ.
„Ach nichts …“ Carol druckste herum, hielt die Augen gesenkt und wirkte plötzlich schuldbewusst. „Das war nur so dahergesagt.“
So war das also, Lianne hielt einen Moment die Luft an, als sie verstand. Sie hatte nie bemerkt, dass Tommy vielleicht mehr für sie empfand als Freundschaft. Er ließ die Kamera sinken und stand wie ein begossener Pudel vor ihr, ohne Worte finden zu können. Eine Mischung aus Zuneigung und Mitleid überkam sie, allerdings nicht mehr. Sie hatte ihm nie Avancen oder gar Hoffnungen gemacht. Das war nicht ihr Stil. Lange Zeit hatte sie sich nur auf ihre Karriere konzentriert und war sowieso nicht der Typ, der durch viele Betten hüpfen musste. Daher waren ihre Erfahrungen auf diesem Gebiet eher gering. Echte Leidenschaft hatte sie bislang für keinen Mann empfunden und sie konnte nicht verstehen, warum Sex in der heutigen Zeit so überbewertet wurde. Und Sex mit Tommy? O nein … undenkbar! Eine peinliche Stille entstand. Selbst das Ticken des alten Weckers auf ihrem Nachttisch war überdeutlich zu hören. Das war so ein unangenehmer Moment, an dem man sich an einen anderen Ort wünschte oder hoffte, der Erdboden würde sich vor einem auftun.
„Jetzt ist es aber genug. Wir sind schließlich nicht beim Zirkus.“
Eine beleibte, farbige Krankenschwester trat in den Raum und blickte entgeistert auf die vielen Besucher, Geschenke, Ballons und den großen Kuchen mit quietschbunter Zuckerglasur.
„In einer Minute sind Sie alle verschwunden, die Patientin braucht Ruhe und muss schlafen!“
„Können wir nicht noch ein paar Minuten bleiben?“, maulte Dexter und schielte zu den Pasteten. Carol gab ihm einen leichten Tritt vors Schienbein und Dexter verzog das Gesicht, als erleide er heftigste Schmerzen.
„Aus einem dicken Nilpferd wird kein bunter Kolibri“, zischte sie ihm zu.
„Nicht mal ein kleiner?“ , gab er hoffnungsvoll zurück.
Carol seufzte theatralisch und schüttelte mit dem Kopf. „Nein, oder hast du schon mal ein Nilpferd mit Flügeln gesehen?“
„Das habe ich tatsächlich“, trumpfte er auf. „Bei einem Fußballspiel von Arsenal in Deutschland, besser gesagt in Dortmund. I n d i e se r Stadt stehen überall solche Skulpturen, bunt bemalt.“
„Auf so etwas können nur Deutsche kommen.“ Carol verzog den Mund. „Die spinnen, die Deutschen.“
„Soso. Ich fand die Dinger jedenfalls ganz lustig“, gab er zu. „Und die Bratwurst war lecker.“
„Du denkst nur mit dem Magen.“
„Haben Sie vergessen, was die Kleine durchmachen musste?“ Die Stationsschwester zog die Aufmerksamkeit wieder auf sich. Sie war im Normalfall freundlich, sanft und kümmerte sich rührend um Lianne, in diesem Moment wirkte sie jedoch streng und dazu bereit, die Besucher mit eigenen Händen aus dem schönen Privatzimmer zu bugsieren. Angriffslustig stemmte sie die Hände in die fleischigen Hüften. Dexter, Carol, Tommy und die anderen machten unter ihrem Blick schuldbewusste Gesichter. Das Zimmer hatte Dexter spendiert, damit ihr ein Mehrbettraum erspart blieb und Lianne war ihm dankbar. Noch dankbarer war sie Big Mama, so hatte sie ihre stattliche Krankenschwester heimlich getauft, dass sie Dexter und alle anderen nun zum Gehen brachte. Dem überschwänglichen Abschied folgte der Aufbruch und endlich die erhoffte Stille. Jetzt konnte sie etwas freier durchatmen.
„Schlafen Sie sich aus , Kindchen , und träumen Sie etwas Schönes.“ Big Mama lächelte, zog die Vorhänge zu und schloss leise die Tür hinter sich. Noch einmal öffnete sich ein kleiner Spalt und ihr grinsendes Gesicht lugte hinter
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