Raven (Shadow Force) (German Edition)
sich erschöpft an die ockerfarben getünchte Fassade eines Hauses und schloss die Augen. Das kühle Gemäuer fühlte sich angenehm an und gab ihm temporären Halt, denn alle Knochen und Muskeln in seinem Körper schrien Schmerz. Es waren noch einige Kilometer bis zu seiner Unterkunft auf Zeit, einer nach außen hin alten und baufälligen Baracke in einem Industriegebiet im Nordosten der Stadt. In seiner Branche war es wichtig, ein geheimes Versteck und genügend Ausrüstung zu haben, wenn man sie brauchte. Als er die Augen öffnete, verschwamm sein Blick und er sah alles doppelt. Das Fieber wollte nicht weichen. Immer wenn er glaubte, es im Griff zu haben, flackerten neue Schübe auf und schwächten ihn. So würde es ihm kaum gelingen, Frank aus den Klauen des unbekannten Feindes zu befreien und seine Schwester auf Dauer zu schützen. Raven fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Der Tag war richtig beschissen. Er wollte sich verkriechen und alles vergessen, aber das konnte er sich erst mal abschminken. Ein Taxi nehmen war zu unsicher. Er würde laufen müssen, um nicht irgendwie oder irgendwem aufzufallen. Gerade heute. Er nahm sich zusammen und ignorierte die neugierigen Blicke einiger Passanten. In London war man relativ entspannt, was die Aufmachung und Kleidung von Leuten betraf. Allein auf der Kings Road waren die seltensten Paradiesvögel unterwegs, man traf auf Punker, Skins, Snobs, Stars und Sternchen. Er war allerdings verdreckt und verschmiert, blutete und seine Klamotten hingen in Fetzen. Er fiel definitiv auf, so wie ein Pinguin an der Copacabana. Egal. Was scherten ihn die Leute. Er schlang die Arme um seinen Körper und machte sich auf den Weg. Wie in England nicht anders zu erwarten , setzte Nieselregen ein, doch diesmal war er dankbar. Der Regen benetzte und kühlte seine fiebernde Haut, machte die Schmerzen erträglicher. Schon bald war er bis auf die Knochen durchnässt. Vielleicht würde ihn das miese Wetter auch von Lianne Morgan ablenken, die sich in seinen Armen gut und anziehend weiblich angefühlt hatte. Eigentlich viel zu gut, wie er zugeben musste. Er dachte an ihre vollen, roten Lippen und ihre zarte Haut, die er auf der seinen gespürt hatte. Ihren Mut, in höchster Gefahr an andere Menschen zu denken und ihre Rettung beharrlich stur einzufordern. Sie hatte ihm dabei helfen wollen, obwohl sie sich kaum selbst auf den Beinen halten konnte und verletzt worden war. Sie hatte schließlich ihn gerettet und ihr eigenes Leben für ihn riskiert. Einen Mann, den sie nicht kannte. Uneigennützig und ohne nachzudenken. Es war nicht nur ihr attraktives Äußeres, das ihn anzog und für sich einnahm. Okay, sie war ganz sein Typ. Er mochte es, wenn eine Frau wie eine Frau aussah und nicht wie ein Hungerhaken. Ihr Oberkörper hatte sich weich und warm an ihn gepresst, und sie hatte einen appetitlichen Hintern. Ganz so, wie es sein sollte. Doch es war noch etwas anderes an ihr, das ihn reizte, obwohl sie nur wenige Momente geteilt hatten, die angereichert mit Lebensgefahr und Adrenalin pur gewesen waren. Wie ein Rausch, ein Kick. Wenigstens für ihn. Er liebte die Herausforderung, brauchte die Gefahr wie die Luft zum Atmen. Nur dann fühlte er sich wirklich frei, wenn er dem Tod ins Auge blickte und ihm ein Schnippchen schlug. Vielleicht war das nicht normal, aber so war sein Leben. Er hing nicht daran. Scheinbar war er deshalb erfolgreich und noch nicht getötet worden. Aus diesem Grund rekrutierte die Force Agenten, die möglichst ungebunden waren und keine Familie besaßen. Die nichts zu verlieren hatten. Es gab nur wenige Ausnahmen, so wie Frank. Sein Freund handelte dazu aus Idealismus. Er selbst war in früheren Jahren mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt geraten . Sie hatten ihn mit Straffreiheit und Geld geködert wie einen Söldner. Mehr war er vielleicht auch nicht. Und wie Frank bereits gesagt hatte, jede Glückssträhne endete irgendwann. Wenn ein Schattenkrieger fiel, gab es zumeist keine Fragen. Sie wurden nicht vermisst oder zu Helden gemacht. Dafür wurden sie gut bezahlt und konnten mit Agenten kämpfen, die ähnlich waren wie sie selbst. Anders. Außenseiter der Gesellschaft. Das schweißte zusammen und machte die Arbeit manchmal sogar familiär. Dennoch fühlte er sich oft allein unter ihnen und verließ sich zumeist auf sich selbst. Es lag an ihm, nicht an den anderen. Dann war er niemandem Rechenschaft schuldig. Raven stapfte weiter durch den Regen. Die Straßen waren mittlerweile
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