Raven (Shadow Force) (German Edition)
getauscht und konnte sich unter der Bettdecke verstecken. Unter seinem intensiven, wilden Blick fühlte sie sich nackt.
„Ich mache es kurz, denn ich habe nicht viel Zeit, Li“, begann er.
„Ja?“ Das Herz klopfte ihr vor Aufregung bis zum Hals.
Jetzt, da sie nicht mehr unter Schock stand, konnte sie den harten Akzent zuordnen, der in seiner Stimme schwang. Er musste aus Schottland stammen, dem Land, in dem Männer noch Männer zu sein schienen, obwohl das ganz sicher ein Klischee war. Irgendwie gefiel ihr dennoch diese Vorstellung, denn dieser Typ war alles andere als normal. Allein seine unmittelbare Gegenwart ließ ihre Knie weich werden und ihren Magen wie mit Schmetterlingen gefüllt flattern.
„Du bist in Gefahr und wir müssen augenblicklich verschwinden!“ Schon stand er vor ihrem Bett und reichte ihr seine Hand mit einem bittenden Ausdruck in den Augen.
„In Gefahr?“, echote sie wie ein kleiner Papagei. Es fiel ihr schwer, seine Worte zu begreifen und zu verinnerlichen. Zu sehr versetzte er sie in Aufruhr.
„In großer Gefahr.“
Was war denn nun schon wieder? Die Aufregung der letzten Tage hatte mindestens für ein paar Jahre gereicht. Doch sie spürte mittlerweile selbst, dass eine neue Gefahr in Verzug war. Als würde ein Ruf durch ihren Schädel hallen, dass sie verschwinden musste. Er wirkte dazu angespannt und auf dem Sprung, als wären ihm die vier apokalyptischen Reiter auf den Fersen. Das waren Anzeichen genug.
„Ich bin ein Freund von Frank.“ Der bittende Ausdruck in seiner Stimme war verschwunden.
Er umfasste ihre Hand und zog sie aus dem Bett, bevor sie reagieren konnte.
Lianne war zu verwirrt, um sich zu wehren oder lauthals zu protestieren. Schon hatte er ihre Jacke ergriffen, die über einem Stuhl lag, und führte sie Richtung Tür.
„Du kennst Frank?“ Ihre Gedanken überschlugen sich.
„Wir arbeiten für die gleiche Einheit.“ Er achtete nicht weiter auf sie und öffnete die Zimmertür, wobei er vorsichtig nach links und rechts in den Gang spähte.
„Wow.“
„Man nennt mich Raven.“
Raven, der Rabe. Kein Name hätte besser zu seiner geheimnisvollen, attraktiven und düsteren Erscheinung gepasst. Ein Rabe galt zum einen als intelligent, loyal, weise, er war ein magisches Wesen, das mit Hexen und Zauberern in Verbindung stand und Symbol der Zwiespältigkeit. Er war allerdings auch Vorbote von Unglück, ein Warnzeichen und deutete von der Sterblichkeit der Menschen als Totenvogel. Der Rabe hatte für die Menschen schon immer eine große Bedeutung und tauchte neben seinen Verwandten, den Krähen und Elstern, in vielen Mythen, Religionen und Märchen auf. Lianne hatte schon als Kind die Edda und dicke Wälzer über Mythologie und die Götterwelt gelesen. Unvergessen war ihr dabei die Legende von Odin, der von zwei Wölfen und zwei Raben begleitet wurde, die Raben hießen Hugin und Munin, geblieben. Jeden Morgen sandte Odin die beiden aus, sie flogen durch die Welt und flüsterten ihm am Abend nach ihrer Rückkehr alle wichtigen Neuigkeiten, die sie gesehen und gehört hatten , ins Ohr. Damit versetzten sie den einäugigen Gott eigentlich erst in die Lage , zu sehen und zu verstehen. Deshalb nennt man Odin auch Hrafnagud, den Rabengott. Hugin stand dabei für das Denken und die Erinnerung, womit wohl eher Weisheit und Allwissenheit gemeint waren.
„Lianne?“
Seine Stimme besaß nun einen scharfen Klang und sie besann sich. Wieder gingen ihre träumerischen Gedanken mit ihr durch und sie hatte Mühe, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Aber verdammt noch mal, warum geriet ihr Leben gänzlich aus den Fugen? Wer hatte es auf sie abgesehen und warum? Es gab viele Fragen und keine Antworten. Sie entzog ihm ihre Hand, lief aufgeregt im Zimmer auf und ab und blieb schließlich direkt vor ihm stehen. Seine sinnlichen Lippen waren einen Atemzug von den ihren entfernt.
„Was ist mit Frank? Hast du von ihm gehört?“
„In letzter Zeit nicht“, antworte te er ausweichend.
„Ich glaube nicht, dass er tot ist. Nein, er lebt, ganz bestimmt. Er darf nicht tot sein.“ Sie wusste, dass sie faselte vor Aufregung, aber sie konnte sich nicht zusammenreißen und suchte in seiner Mimik nach Antworten.
Er trat von einem Fuß auf den anderen und wirkte ungeduldig .
„Was ist passiert?“
„Später“, seine Stimme war beinahe grob. „Wir haben keine Zeit.“
„Du erwartest doch nicht, dass ich einfach mitkomme , ohne zu wissen, was hier vor sich
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