Raven (Shadow Force) (German Edition)
Es brachte nichts, wenn sie vor Erschöpfung irgendwann zusammenklappte. Sie beschloss , zuerst etwas zu essen und zu trinken, eine heiße Dusche zu nehmen, etwas Frisches zum Anziehen zu finden , und dann würde sie sich ein nettes Plätzchen zum Schlafen suchen. Ganz in seiner Nähe. Als Raven sich im Schlaf umdrehte und nach ihrer Hand griff , spürte sie ihren verwirrenden Gefühlen nach. Er hielt sie erstaunlich fest und sie wollte ihn nicht wecken. Dann eben keine Dusche und keine Exkursion in die Tiefen des Kühlschranks. Sie seufzte leise, schlüpfte aus ihren roten Pantoffeln und kuschelte sich zu ihm ins Bett. Wenn sie direkt bei ihm lag, konnte sie am besten auf alle Veränderungen reagieren. Sie würde sich klein machen und ihn nicht stören. Vielleicht beruhigte ihn ihre unmittelbare Nähe, redete sie sich erfolgreich ein und betrachtete erneut sein Gesicht. Er wirkte entspannter und die Härte war aus seinen Gesichtszügen gewichen. Seine breite Brust hob und senkte sich und das Muskelspiel unter seiner hellen Haut war eine Augenweide. Sie schluckte einen Kloß in ihrer Kehle hinunter und räusperte sich. Am liebsten hätte sie einen Kuss auf seine Lippen gehaucht und seine Haare wie bei einem kleinen Jungen liebevoll zerzaust, aber sie traute sich nicht. So schmiegte sie sich näher an ihn, spürte seine unmittelbare Wärme, den Druck seiner Hand und lauschte seinen leisen Atemzügen. Das war für den Moment intim genug, viel mehr würden ihre strapazierten Nerven nicht aushalten.
Eine Weile blickte sie ihn an. Raven war ihr persönlicher Schattenkrieger und dunkler Ritter. Eine schöne Vorstellung. Vielleicht etwas zu romantisch und unrealistisch, aber schön. Gedanken waren wie Träume schließlich frei. Sekunden später spürte sie , wie der Schlaf sie übermannte.
*
Es war dunkel. Wie lange er in dieser vollkommenen Finsternis auf einem kalten, unebenen Steinboden saß, wusste er nicht. Er hatte das Gefühl für Zeit verloren und ertrug die laute, quälende Musik, mit der sie ihn beschallten und den Schlaf fernhielten. Manchmal war er dennoch eingenickt, dann waren sie in den Raum gestürmt und hatten ihn mit Gummiknüppeln bearbeitet. Wahrscheinlich waren in der Dunkelzelle Kameras installiert und er stand unter ständiger Beobachtung. Wenn sie Spaß daran hatten, sollten sie sich an seinem Anblick weiden. Er selbst hätte als Programm „Die Profis“ mit den beiden Agenten Bodie und Doyle vorgezogen. Hunger biss quälend in seinen Eingeweiden und das schale Wasser, das sie ihm in einem Eimer hingestellt hatten, konnte seinen Magen nicht füllen. Die unbeantwortete Frage, wann sie ihn wieder aus der Zelle holen und quälen würden, höhlte ihn langsam aus und zermürbte seinen Willen. Sie hatten ihn mehrfach zusammengeschlagen, verhöhnt und beschimpft. Dazu mit Strom gefoltert, seinen Kopf in eiskaltes Wasser getaucht, bis er ohnmächtig geworden war, seine Fußsohlen mit Rohrstöcken bearbeitet, ihn in schmerzhaften Körperhaltungen fixiert sowie stundenlang an Armen oder Beinen aufgehängt. Viele Dinge mehr, die er schnellstmöglich vergessen wollte. Nur so würde er sich davon befreien können. Es half nicht viel, dass er die psychologischen Taktiken und Hintergründe ihrer sadistischen Arbeit kannte, denn sie am eigenen Leibe zu erleben und ertragen zu müssen, war etwas anderes als theoretische Pamphlete zu studieren. Sie hatten ihm keine Fragen gestellt, kein Geständnis erzwungen oder Forderungen an ihn herangetragen, also musste ihr einziges Ziel sein, seine Persönlichkeit zu zerstören und seine Identität zu vernichten. So verlor ein Gefolterter irgendwann jegliche Fähigkeit zum Widerstand. Um ihr Ziel zu erreichen, gingen seine Peiniger schon seit einiger Zeit planmäßig vor. Die psychische Zermürbung, die Zerstörung der Seele musste schrittweise erfolgen, das wusste er, konnte diesen Prozess in seinem Inneren jedoch nicht stoppen. Anfangs hatte er sie ausgelacht und sogar beschimpft, viele Tage hatte er gedacht, dass er ihnen und der Tortur standhalten konnte. Nach Wochen der Gefangenschaft und Folter lag seine Energie jedoch bei null und er saß lethargisch, die Arme um die Beine geschlungen, und wippte mit dem Kopf wie ein eingesperrtes Tier. Das war ein genau kalkulierter Prozess, der kaltblütig und den individuellen Eigenschaften des jeweiligen Opfers entsprechend durchgeführt wurde. Es hatte wenig Sinn, sofort mit den härtesten Maßnahmen zu beginnen. Dem Opfer
Weitere Kostenlose Bücher