Raven (Shadow Force) (German Edition)
musste man genügend Zeit lassen, damit es die Qualen und Erniedrigungen ausgiebig erlebte, sich mit ihnen identifizierte und stückweise den Willen zum Widerstand verlor. Die Folterer wussten, dass Menschen ohne Identität und mit zerrütteter Persönlichkeit ihre Fähigkeit zum Widerstand jeglicher Art verlieren. Das war ihr Ziel. Raven hatte angenommen, dass sie ihn entweder totschlagen, aufhängen oder erschießen würden, und war darauf gefasst gewesen. Und hätten sie es doch nur getan, denn am schlimmsten waren die Pausen und das lange Warten. Er verlor seinen inneren Halt. Die Angst vor der Kapitulation, der Schwäche und Aufgabe, die er bis jetzt noch hatte abwenden können, wuchs beständig. Selbst als er gezwungen war, der Auspeitschung von Frank beizuwohnen, hatte er kein Wort gesagt und nur seine Hände zu Fäusten geballt. An Händen und Füßen gefesselt, hätte er sowieso nichts ausrichten können. Wenigstens wusste er, dass Frank noch lebte und nicht aufgegeben hatte. Frank hatte ihm zugerufen, sich um seine Schwester zu kümmern, so ihm etwas passieren sollte. Das hatte Raven ihm versprochen. Aber wie? Das war die Frage. Sie saßen beide in diesem Dreckloch fest, in das man sie vor Wochen gebracht hatte. Er wusste nicht einmal, ob sie sich noch in Libyen befanden oder ins Ausland verfrachtet worden waren. Zu oft war er nicht bei Bewusstsein gewesen und transportiert worden. Einmal war ihm dabei die Flucht dank seiner Kräfte beinahe gelungen, doch er hatte einen Fehler gemacht und wurde nun tagtäglich mit irgendwelchen Drogen vollgepumpt, die auf seine Kräfte verheerende Wirkung hatten und ihn körperlich und seelisch abhängig machten. Er wartete mittlerweile wie ein Junkie darauf, dass sie ihm das Zeug in die Venen pumpten. Ein neues und probates Druckmittel, ihn später auf Entzug zu setzen und mit den aufkommenden Entzugserscheinungen zu konfrontieren. Sie waren clever, erfinderisch und planten vorausschauend. Raven fragte sich, warum sie so gut über ihn und seine Fähigkeiten Bescheid wussten. Bei Frank musste es ähnlich sein, vielleicht war er in der Zwischenzeit auch zum Drogenjunkie mutiert oder hatte aufgegeben. Über kurz oder lang würde es passieren. Am schlimmsten waren die Tage, an denen ihn sein persönlicher Quälgeist aufsuchte, der stets eine Maske getragen und kein Wort gesprochen hatte. Das musste er auch nicht, denn dieser Mensch verfügte über unglaubliche PSI-Kräfte, war in sein Gehirn gedrungen und hatte versucht, Gewalt und Herrschaft über ihn zu gewinnen. Bislang erfolglos, doch beim letzten Mal wäre er beinahe zusammengebrochen und hätte nachgegeben. Es war eine Frage der Zeit, bis er vollends die Kontrolle über sich verlieren würde. Dann würde er nur noch eine willenlose und gefügige Marionette des sadistischen Quälgeistes sein. Ob es überhaupt ein Mensch war? Oder der Teufel? Aber hätte er überhaupt bemerkt, wenn der Mistkerl ihn schon längst geknackt hatte? Er vertraute mittlerweile weder seinen Gedanken noch seiner Erinnerung. Manchmal träumte er seltsame Dinge, die keinen Sinn ergaben. Er musste also auch vor sich selbst auf der Hut sein.
Plötzlich verstummte die Musik und seine Folterer waren wieder in der Zelle. Dieses Mal hatte er sie nicht kommen hören. Mehrere Hände packten ihn, banden ein Tuch um seinen Schädel und schleiften ihn grob in einen anderen Raum. Hier roch es muffig, nach Chemikalien, Schweiß und Blut. Was hatten sie nun wieder vor? Er erwartete beinahe, dass sie ihn wieder zum Kämpfen zwangen. Auch das hatte er erlebt, aber er erinnerte sich nur schemenhaft. Leute hatten gebrüllt und geschrien wie in einer Arena. Er war angegriffen worden und hatte sein Leben verteidigt. Dann verblasste die Erinnerung. Wahrscheinlich ein Ergebnis gekonnter Manipulation und Hypnose. Ein Tritt in die Seite riss ihn aus seinen wirren Gedanken. Raven erwartete das Unvermeidliche. Sie fixierten ihn heute jedoch auf einer Art Liege in einer Position, in der sich sein Kopf tiefer befand als sein restlicher Körper. Dann übergossen sie seinen Kopf mit Wasser. Er begann zu würgen und glaubte, jeden Moment ersticken zu müssen. Immer wenn er nach Luft schnappen wollte, drang das Wasser in seinen Rachen. Das ging viele Minuten lang, er hörte sie lachen und miteinander reden, während ihm langsam die Sinne schwanden. Einige sprachen arabisch , zwei Männer nutzten die englische Sprache, bei einem anderen hörte er einen französischen Akzent heraus.
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