Raven (Shadow Force) (German Edition)
Waffen hatten bislang nicht zu ihrer Welt gehört und das sollte nach Möglichkeit auch so bleiben. Selbst Frank hatte sie bislang nicht dazu bewegen können, eine Waffe auch nur anzufassen.
Als sie leise eintrat, hob Raven kaum merklich den Kopf. Er saß an seinem Schreibtisch und hantierte wie mechanisch mit einer seltsam großen Pistole, die keiner üblichen Waffe ähnelte, die sie bislang gesehen hatte. Das Magazin lag oben auf der Waffe und gab ihr ein skurriles Aussehen. Er blickte ihr mit undefinierbarer Miene entgegen, während sie sich ihm langsam näherte.
„Was ist das für ein Ding?“ Sie versuchte, Interesse in ihre Frage zu legen und sich möglichst unbekümmert zu geben. Vielleicht würde er dann zugänglicher werden.
„Das ist eine P90, eine Personal Defense Weapon, kurz PDW. Eine Maschinenpistole.“
„Okay.“ Sie betrachtete das kühle Metall.
Er hob eine Augenbraue und schien dem Braten nicht zu trauen.
„Sie sieht merkwürdig aus.“
„Die Stärke der P90 kommt fast Sturmgewehren gleich“, informierte er sie weiter und betrachtete das Ding beinahe liebevoll. „Frank hat auch eine.“
Männer und ihre Spielzeuge. Frank war in dieser Hinsicht nicht anders. Sie vermisste ihren Bruder so sehr.
„Aufgrund der kleineren Größe der Patrone sind in das durchsichtige Polycarbonat Magazin fünfzig Schuss hineinzubekommen, was eine echte Leistung ist. Sie liegen doppelreihig bis kurz vor einer Drehscheibe. Diese dreht die im Magazin quer zur Schussrichtung liegenden Patronen und die leeren Hülsen werden nach unten ausgeworfen, was für Links - und Rechtsschützen gleichermaßen gut ist.“ Er machte eine Pause. „Und was willst du nun wirklich, Lianne?“
Er hatte recht. Sie interessierte sich nicht wirklich für die Details einer Waffe, aber es tat gut , mit ihm zu reden. Er musste das in ihrem Gesicht gelesen haben, denn er lächelte sie an. Ein kleines , kaum erkennbares Lächeln, aber immerhin. Es veränderte sein sonst so hartes Gesicht, machte ihn um einiges attraktiver und noch anziehender. Frisch geduscht und rasiert wirkte er zwar etwas weniger beängstigend als zuvor, aber die Glut in seinen Augen und seine entschlossene Mimik sprachen Bände und ließen ihren Körper erschauern. Seine Haare waren noch feucht und schimmerten, seine Muskeln hatte er unter einem dünnen, schwarzen Rollkragenpullover verborgen. Im Moment hätte sie ihn lieber ohne Kleidung gesehen. Auch die engen Jeans waren überflüssig. Schnell rief sie sich zur Ordnung, weil ihre Gedanken ins Absurde und Unmögliche abschweiften. Das taten sie eigentlich immer, sobald sie seinen Blick auf sich spürte. Er faszinierte sie auf eine Art und Weise, wie es kein einziger Mann zuvor getan hatte. Mit und bei ihm fühlte sie sich unendlich lebendig und als Frau begehrt.
„Was unternehmen wir nun wegen Frank?“
„Wir?“ Sein Tonfall hatte etwas Überhebliches.
„Ja wir, er ist schließlich mein Bruder und ich möchte helfen.“
„Das weiß ich. Allerdings hast du auch bemerkt, dass die Sache nicht ungefährlich ist. Ich kann nicht den Babysitter für dich spielen, wenn ich ihn suchen werde.“
Babysitter? Das war deutlich. Für ihn war sie also nur eine Last, die er allerdings gern in seinem Bett gehabt hatte. Sie ahnte, dass sich ihr Gesicht rot verfärbte, doch sie konnte es nicht ändern. Er war ein Macho und traute ihr nicht viel zu. In welcher Zeit lebte er eigentlich? Na schön. Dann würde sie ihm beweisen müssen, dass es anders war. Diskutieren würde nicht viel Sinn machen. Raven schien von der sturen Sorte zu sein. Hier waren deutliche Beweise gefragt.
„Wenn das deine Meinung ist.“ Sie gab sich diplomatisch und beobachtete ihn weiter. Er schien mit ihrer Erwiderung zufrieden zu sein und hantierte erneut mit seiner Waffe.
„Die Shadow Force, über welche Kräfte verfügen die Agenten genau? Frank hat sich immer bedeckt gehalten.“
„Das war richtig.“ Er nickte und seine Mundwinkel zuckten. „Wir sind zur Geheimhaltung verpflichtet. Eigentlich gibt es uns gar nicht.“ Im Klartext hieß das, dass sie allein auf sich gestellt waren und die Regierung eine Zugehörigkeit abstreiten würde, sollten sie gefangen genommen oder getötet werden. So wie es bei Frank gewesen war. Der Job schien ihr verdammt undankbar.
„Ich meinte das auch eher generell und nicht speziell auf Personen bezogen.“
„Die Reporterin in dir kommt durch“, tadelte er sie mit einem schiefen Grinsen.
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