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Ravinia

Titel: Ravinia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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Ich-will-jetzt-nicht-reden-und-lieber-in-Ruhe-mürrisch-sein-wie-immer-Gehabe zeigte einfach keine Wirkung bei Lara.
    Â»Kennenlernen ist zu viel gesagt«, stellte er klar. »Ich habe sie ein einziges Mal getroffen, und da nur sehr kurz. Stand das auch in den Aufzeichnungen deiner Mutter?«
    Lara nickte.
    Â»Sie schrieb, dass ihr euch in Prag getroffen habt.«
    Â»Stimmt«, nickte Tom. »Das war übrigens in demselben Raum, in dem wir mit Rabbi Friedmann Tee getrunken haben. Ich habe«, er zögerte kurz, »mich damals in Prag aufgehalten.«
    Â»Meine Mutter schrieb, dass meine Eltern dir eine Lehrstelle bei Baltasar verschaffen wollten.«
    Tom stützte die Ellenbogen auf dem Tisch ab und fuhr sich mit der Hand über das unrasierte Gesicht.
    Â»Ja, das stimmt. Aber Baltasar wollte nicht.«
    Â»Wieso wollte Rabbi Friedmann dich nicht zu jemand anderem geben?«
    Â»Oh, das wollte er«, sagte Tom. » Ich wollte es nicht. Ich wollte zu dem besten Schlüsselmachermeister. Und da ganz offenbar Einigkeit in Ravinia herrschte, dass dies nun einmal Mr Baltasar Quibbes sei, habe ich beschlossen zu warten.«
    Â»Was hast du denn so lange in Prag gemacht?«, wollte Lara wissen.
    Â» Das «, meinte Tom nur, »erzähle ich dir vielleicht später einmal. Ich bin nicht so gut im Erzählen von persönlichen Dingen. Oder sagen wir – ich muss mich erst wieder daran gewöhnen.«
    Dabei beließ Lara es. Sie wusste, dass es sicherlich keinen Sinn hatte, irgendetwas aus Tom herausquetschen zu wollen. Sollte ihre Freundschaft ruhig langsam gedeihen, wenn sie es dafür gründlich tat.
    Sie trank ein Glas Orangensaft und aß eine weitere Scheibe Toast, diesmal mit Schinken, bevor beide das Geschirr in die Spüle stellten und mit hochgeschlagenen Mantelkragen hinaus in den wolkenreichen, späten Vormittag stapften.
    Ãœber ihnen im Torhaus lugte ein Kolkrabe aus dem Fenster, hinter dem sich Laras Kammer befand. Sein Flügel schmerzte zwar noch bei jeder Bewegung, aber die Wunde war soweit verschorft. Nachdem Tom und Lara das Torhaus passiert hatten und über die Brücke in die Stadt hinuntergegangen waren, stieß sich der schwarze Vogel ab und segelte über den Burghof zum Eingang des Bergfriedes, dorthin, wo er in der Halle jemanden treffen sollte, der dem Lord einen Gefallen schuldig war.

    Städte waren an sich geduldige Wesen. Sie wandelten sich nur gemächlich und begehrten nur selten gegen ungewöhnliche Veränderungen auf.
    Den Grundstein der Sternwarte hatte ein chinesischer Astronom vor einigen Hundert Jahren gelegt, als der südwestliche Stadtteil, der nun das Rondell und die verirrten Docks beherbergte, noch eine lose Ansammlung windschiefer Holzhütten gewesen war. Er hatte einen Platz innerhalb der Stadtmauer gesucht, an dem er die Sternkonstellationen des Himmels über Ravinia erforschen konnte, und der Rat hatte ihm unter dem Einfluss der Aristokratie ein Grundstück weitab vom Villenviertel der Oberstadt zugewiesen.
    Später hatte die Warte eine neue, größere Kuppel bekommen und schließlich sogar ein richtiges Spiegelteleskop, das an einem diesigen Tag wie dem heutigen aber nicht zu sehen war. Die Kuppel jedoch hob sich vor der grauen Kulisse des verregneten Rondells ab und zeichnete eine Beule in die Linie der Dächer der Wagenburg.
    Lee wartete unter dem Dach von Berries Veranda auf Tom und Lara. Er hatte sich von Francesco einen schwarzen Kapuzenpulli mit einem Motörhead -Schriftzug geliehen, der ihm ein wenig zu groß war. Aber die Kapuze bildete eine amüsante Kombination mit der speckigen Lederjacke, unter der man bei ihm im Normalfall eher ein kariertes Flanellhemd oder einen rustikalen Wollpullover erwartet hätte.
    Â»Eigentlich brauchst du jetzt nur noch ein Palästinensertuch und einen Ziegelstein, um Autoscheiben einzuwerfen«, spöttelte Lara, als sie sich zur Begrüßung ebenfalls unter das Verandadach flüchtete.
    Â»Sehr witzig«, gab Lee zurück. »Ich fürchte, ich muss mir demnächst irgendwo Geld leihen, um mir einen Satz Klamotten zu kaufen. Oder ich frage Geneva, ob sie für mich im Waisenhaus von Garden’s End einbricht.«
    Beide grinsten.
    Â»Wenn die Herrschaften sich dann die Stufen hinunterbemühen und mich zur Sternwarte begleiten würden?«, tönte Tom genervt von einem triefenden Strohballen herunter, der immerhin ein wenig

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