Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ravinia

Titel: Ravinia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
Vom Netzwerk:
nämlich rechts.
    Ja, sie war in Sicherheit, aber die anderen waren es nicht. Zwar musste Lara sich eingestehen, dass sie ihre Gefährten angesichts der messerscharfen Klingen, welche die mechanischen Männer gezückt hatten, unterschätzt hatte, dennoch war es ein ernster Kampf gewesen. Sehr ernst. Auf Leben und Tod. Sie konnte – ja was? Sie konnte nur hoffen, dass niemandem etwas passiert war.
    Und die Welt schien erneut zu seufzen.
    Genauso konnte sie nur hoffen, dass ihrem Großvater nichts passiert war.
    Lara stand auf und stieß einen ohnmächtigen Schrei aus, während ein wütender Tritt eine deutliche Beule im Blech des Stromkastens hinterließ.
    Dann ließ sie die Schultern hängen und schlurfte unter das Dach der Bushaltestelle.
    Irgendwo im Nirgendwo.
    Vielleicht hundert Meter entfernt begann eine Siedlung. Zumindest standen dort ein paar Häuser, zu denen eine Oberleitung entlang der Landstraße führte. Garden’s End stand auf einem grünen Wegweiser.
    Und als wäre er einem Spielfilm entsprungen, schlenderte ein Junge in einer abgenutzten Lederjacke daher. Oder war es ein junger Mann? Es war schwer zu sagen. Vom Aussehen her wäre er für jedes Alter zwischen vierzehn und neunzehn durchgegangen. Er war nicht besonders hochgewachsen, und außerdem schien er zu träumen. In seiner rechten Hand befand sich etwas, mit dem er spielte. Es wirbelte ständig um seine Finger und schlug Funken.
    Er tat, als würde er Lara nicht bemerken. Sein rotbraunes Haar hing ihm vom Regen durchnässt ins Gesicht, aber es schien ihn nicht zu stören.
    Schließlich kam er unter das Dach der Bushaltestelle und ließ sich neben Lara auf die Bank sinken.
    Â»Das war ziemlich cool«, meinte er, ohne Lara anzusehen.
    Lara schüttelte den Kopf. Dachte einen Moment nichts.
    Â»Was war cool?«
    Â»Wie du aus dem Stromkasten gekrochen bist und ihn dann eingetreten hast.«
    Immer noch blickte der Junge in die andere Richtung. Ja, mittlerweile war sie sich sicher, dass es sich um jemanden in ihrem Alter handeln musste. Obwohl seine Stimme schon einen sehr männlichen Klang hatte, der auch einem Zwanzigjährigen gut zu Gesicht gestanden hätte, und die ersten Bartstoppeln unter seinem Kinn hervorlugten, war sie sich plötzlich sicher, dass er auf keinen Fall älter war als sie. Er wirkte irgendwie unschuldig. So, als ob er genau wüsste, welchen Bonus ihm sein Erscheinungsbild einbringen konnte.
    Das Seltsamste an ihm aber war sein Blick, der auf eine merkwürdige Weise in die Ferne gerichtet zu sein schien.
    Â»Lara, richtig?«, fragte der Junge.
    Okay, jetzt wird es gruselig, dachte Lara.
    Dabei war Laras Leben in den letzten Stunden gruselig genug gewesen.
    Und dann begann der Junge einfach zu erzählen. Ganz offen. Schamgefühle schienen ihm fremd zu sein. Er berichtete darüber, wie es ist, von Träumen gejagt zu werden und nicht mehr weiterzuwissen. Und darüber, wie erleichtert man sein kann, wenn eine vermeintliche Spinnerei plötzlich aus einem Stromkasten an der Bushaltestelle kriecht.
    Â»Ich wohne im Waisenhaus«, begann er. »Ein paar Straßen weiter. St. Mary – Mother of Hope.«
    Â»Du bist Waise?«
    Der Junge nickte. Energisch. Seine Aussprache hatte eine interessante Färbung.
    Â»Aber einen Namen hast du, ja?«
    Â»Lee«, antwortete der Junge.
    Das also war Lee. Lee, der in den kommenden Wochen und Monaten so viele seltsame Dinge kennenlernen sollte. Lee, der sich immer und immer wieder mit Lara darüber streiten sollte, was richtig oder was einfach ist. Lee, der die Wunder aus Ravinia mit jeder Faser seines Körpers einsaugen sollte, stärker, viel stärker noch, als Lara es jemals gekonnt hätte.
    Â»Na ja, zumindest habe ich gegen Anfang des Jahres begonnen, von dir zu träumen. Erst wäre es mir gar nicht aufgefallen, aber dann bist du immer wieder in meinen Träumen vorgekommen. Und irgendwann auch andere Personen, die mit dir zu tun hatten. Doch die waren alle nicht so deutlich zu erkennen. Da ist ein alter Mann, oder?«
    Lara nickte. Sprachlos. Nicht zu wissen, was man sagen soll, ist manchmal schlimm.
    Â»Und ein anderer Mann mit rabenschwarzen Haaren.«
    Lara nickte wieder.
    Â»Die hatten alle etwas mit Schlüsseln zu tun, aber es ist immer so neblig in diesen Träumen.
    Irgendwann kam dann ein ziemlich düsterer Kerl vor. Und nun hoffe ich, dass er

Weitere Kostenlose Bücher