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Ravinia

Titel: Ravinia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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dir nicht wehgetan hat oder so.«
    Lees Augen waren von einem ungewöhnlichen Braun. Wie starker Kaffee mit zu wenig Milch. Sie waren Abgründe und Sprungbretter zugleich. Und er war aufrichtig. Aufrichtigkeit umgab ihn wie eine Korona und verlieh ihm Kraft.
    Was auch immer Lee antrieb, er war auf eine gewisse Weise darum zu beneiden.
    Â»Du sagst nicht viel«, stellte er schließlich fest.
    Lara schüttelte den Kopf.
    Â»Ach«, murmelte sie. »Es ist nichts. Kannst du mich zu einer Tür bringen?«
    Â»Es hat wirklich mit Schlüsseln zu tun, nicht?«, fragte Lee.
    Aber Lara winkte ab.
    Â»Bring mich einfach nur zu einer Tür, ja?«
    Wortlos stand Lee auf, und Lara sah blind vor Erschöpfung und Schmerz nicht, dass sie tat, was sie ansonsten so verabscheute: Sie machte ein Geheimnis um etwas.
    Er bedeutete ihr, ihm zu folgen, und schlenderte durch den kalten Regen in Richtung des Ortsschildes, während Lara ihm in einigen Metern Abstand folgte.
    Die Fluten des Himmels waren sanft, aber sie verwandelten die Wiesen neben der Straße in schlammige Höllen. Eiskalt und grau. Nein, das war kein Herbstregen. Das war grässlich.
    Als sie das Schild am Ortseingang passierten, wies Lee auf eines der Häuser. »Da hast du deine Tür«, meinte er stumpf. »Du willst mir nicht erklären, was es damit auf sich hat?«
    Lara hob den müden Blick. Verunsicherung lag darin, während ihnen beiden die Regentropfen über die Nasen liefen. Schließlich schüttelte sie den Kopf und zog den Schlüsselbund aus der Manteltasche. Von den seltsamen Schlüsseln war nicht ein einziger beschriftet, und so nahm sie intuitiv den Schlüssel, mit dem sie am ehesten den Begriff düstergolden verbinden konnte.
    Als sie hochsah, war Lee weg.
    Lara überlegte kurz, ob sie anfing zu halluzinieren. Allerdings war das auch egal. Nein, warum sollte sich ein Junge neben sie gesetzt haben, der ihr von all ihren seltsamen Erlebnissen zu berichten wusste und der Meinung war, es sei ein Traum von ihm selbst gewesen?
    Der Schlüssel passte nicht. Typisch.
    Scheinbar war es doch ein Schlüsselbund voller Experimente. Es musste also eine andere Tür her.
    Eine Weile irrte sie durch die Beete, Gärten und über die abgenutzten Gehsteige von Garden’s End. Trostlos. Im wahrsten Sinne des Wortes. Trost-los.
    Sie versteckte sich einige Male vor neugierigen Kindern oder bärigen Männern in karierten Holzfällerhemden. Auf der anderen Straßenseite gab es ein Café. Oder vielmehr ein Diner, in dessen Fenstern übertrieben bunte Kuchenstücke angeboten wurden.
    So we bought a pack of cigarettes and Mrs Wagner’s pies and walked off to look for America , sang eine unsichtbare Jukebox in ihrem Kopf.
    Amerika. Ja, sie musste in Amerika sein. Die Autos fuhren auf der falschen Straßenseite, und die Tageszeit hatte sich plötzlich verändert. Deshalb hatte Lee diesen Akzent. Waren denn die Schlüssel so mächtig? Hatte sie in einem flüchtigen Augenblick den halben Planeten hinter sich gelassen? Und wenn ja, woher kam das alles? War es so, wie Baltasar gesagt hatte? Oder doch ganz anders?
    Schließlich entdeckte sie eine etwas zu kleine Kellertür, deren Schloss aussah, als ob der düstergoldene Schlüssel passen könnte.
    Sie schloss auf und fand dahinter eine furchtbar enge, winzige Gasse. Ja, womöglich lag sie in Ravinia. Vielleicht auch nicht. Fest stand, dass es dort eindeutig sehr viel später am Tag war als da, wo sie sich im Moment befand. Aber wo eine Gasse war, waren vielleicht auch noch mehr Türen. Wenn dies also nicht Ravinia war, würde irgendeiner der anderen Schlüssel sie schon dort hinbringen. Tom hatte ihr den Bund sicherlich nicht umsonst überlassen. Sie machte einen zögerlichen Schritt durch die Tür und zog hinter sich zu. Zumindest ein Stück, denn dann klemmte ein dreckiger Sportschuh im Türrahmen.
    Â»Hey«, machte Lara.
    Â»Hey«, antwortete Lee.
    Â»Verflucht, lass das!«
    Â»Wieso? Wenn du mir nicht erklären willst, was hier geschieht, dann finde ich es selbst heraus.«
    Lara trat ihm auf den Fuß, aber Lee blieb unbeeindruckt.
    Â»Das verstehst du nicht«, drängelte sie. »Hier hast du wirklich nichts zu suchen.«
    Â»Ach? Das sagt das Mädchen, das aus dem Stromkasten kommt?«
    Â»Bitte glaub mir!«, drängte Lara weiter und trat dann wuchtig gegen Lees

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