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Ravinia

Titel: Ravinia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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wenig, als würde sie einen Raum betreten, in dem Unterdruck herrschte. Doch es zog nicht am Körper, sondern an der Seele, berührte viel tiefer, als ein eisiger Wind es vermocht hätte.
    Es stank furchtbar ätherisch von überall her. Gierige Schwaden eines öligen Geruchs durchsetzten die ohnehin schon abgestandene und muffige Luft.
    Ein dicker, purpurner Teppich schluckte ihre Schritte, als sie langsam nacheinander den seltsamen Raum betraten. Lediglich der Mond ließ einen kleinen, silbrigen Schimmer in das Sanktuarium fallen, sodass Lara mutmaßen konnte, dass der Teppich rot war.
    Einen Moment später war sie sich sicher.
    Der hakennasige Mann warf etwas auf den Boden, das mit einem erstickten Klirren zerbrach. Zwei mächtige Lichterscheinungen – Lara vermutete, dass es Lichtgeister waren, nur größer als derjenige, den Berrie ihnen vorgestellt hatte – huschten in verschiedene Richtungen durch den Raum und entzündeten dabei an jeder Wand eine Reihe von Fackeln.
    Und von einem Moment auf den anderen war es taghell.
    Das Sanktuarium war insgesamt etwas breiter als lang. An einer Seite des Raumes befand sich eine große Standuhr aus Messing oder etwas Ähnlichem. Sie tickte unerhört schnell für ihre Größe, und ihr gewaltiges Pendel schwang beinahe schneller hin und her, als es dies von Laras Gefühl für Physik her eigentlich hätte tun dürfen.
    Das Grausigste allerdings war das Bild, das in der Mitte der gegenüberliegenden Wand hing. Umringt von einer Art Geländer – wie in einem Museum –, auf dessen Streben goldene Kristallkugeln saßen.
    Das Bild selbst war mannshoch, und Lara wusste, wen es darstellte.
    Roland Winter.
    In einer Pose, in der sich auch große Firmenbosse oder Mafiapaten hätten porträtieren lassen können.
    Doch das Gemälde war zerstört. Die Farbe schien teilweise verblichen, teilweise verlaufen, wider die Naturgesetze. Es wirkte, als hätten diese Prozesse erst eingesetzt, nachdem das Bild gemalt worden war.
    Â»Es ist das Bild, das so stinkt, oder?«, fragte Lee unvermittelt, woraufhin der Mann mit der Seemannsmütze ihm eine schallende Ohrfeige verpasste. Die Wucht seiner dicken Oberarme ließ Lee straucheln und vornüberfallen. Oh, wie Lara diese Männer hasste.
    Der hakennasige Mann drehte sich um.
    Â»Lass es gut sein«, meinte er herablassend. »Der Junge mag respektlos sein, aber er hat recht.«
    Während sie alle in der Nähe der Tür blieben, tat er ein paar Schritte durch den Raum. Dabei wirkte er so ehrfürchtig, als würde er eine große Kathedrale besichtigen.
    Schließlich kam er zu dem Mann herüber, der Henry McLane in seinem unerbittlichen Griff hielt.
    Â»Valerius, meine Tasche!«, forderte er diesen auf.
    Valerius. Das war also der Name des Düsterlings. Des verräterischen Nachtwächters. Jetzt wusste es Lara. Vielleicht konnte sie noch nichts mit dieser Information anfangen, aber sie würde sie sich merken. Todsicher.
    Der Angesprochene ließ den Riemen einer kleinen schwarzen Umhängetasche von seiner Schulter in die Beuge des Ellenbogens rutschen.
    Â»Vorsicht«, herrschte der Hakennasenmann, den Lara mittlerweile für einen Griechen oder Armenier oder Araber hielt, ihn an.
    Valerius zuckte mit den Schultern und ließ sich die Tasche abnehmen, in der ihr Besitzer herumzukramen begann.
    Mit einem zufriedenen »Ah« machte er sich wieder auf den Weg in Richtung Raummitte, dann drehte er sich mit einem triumphierenden Lächeln, das aus Nacht und Skrupellosigkeit geformt schien, herum und sah die Versammelten an.
    Â»Walter, lehn die Tür an!«, befahl er, worauf der Mann, der wie ein alter Seemann wirkte, tat, wie ihm geheißen.
    Nun breitete der Mann mit der Hakennase die Arme aus und holte Luft, bevor er in einer Mischung aus Spott und Ehrfurcht verkündete:
    Â»Meine Damen und Herren, willkommen in der perfekten Falle.«
    Andächtiges Schweigen herrschte. Das Knistern der Fackeln und das zu schnelle Ticken der Standuhr schienen zu einem Trommelwirbel zu verschmelzen.
    Â»Die größten Meister von Ravinia haben diesen Raum geschaffen«, sprach er weiter. »Hier sind einige der größten Meisterwerke der Geschichte zu bewundern. Eine Uhr, welche die Zeit beschleunigt. Ein Bild, das den grauen Lord gefangen hält, eingerieben mit dem furchtbarsten Alterungsgebräu, das die

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