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Ravinia

Titel: Ravinia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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rettenden Wurf.

    Â»Krah«, machte es unverhofft.
    Verdutzt hielt Ma’Haraz mitten auf dem Fabrikhof inne, auf dem immer noch die entzündeten Tonnen brannten. Mit ihm stoppte sein ganzer Tross. Sturmbringer wie Geiseln.
    Â»Krah«, machte es erneut.
    Lara blickte nach oben und mochte ihren Augen nicht trauen.
    Raben.
    Marcion war fort, hatte sich offenbar weggeschleppt, doch so weit das Auge reichte, saßen große Kolkraben auf Regenrinnen, Zäunen, Mauern, auf Dächern und Wänden. Teilweise waren im grell-silbrigen Mondlicht nur ihre Konturen zu erkennen, die spitze Zacken in die Umrisse der umliegenden Gebäude malten. Dort, wo der Mond ein Rabengesicht erhellte, blitzten wachsame Augen auf, und Köpfe mit schwarzen Schnäbeln legten sich neugierig schief und beäugten aufmerksam, was sich unten auf dem Hof tat.
    Einige Raben kreisten viele Meter über dem Geschehen, ein wenig wie Satelliten oder ein Radar, das die gesamte Szenerie erfasste.
    Eine Gestalt trat aus dem Schatten in einer Ecke des Hofes heraus und kam lockeren, aber bedachten Schrittes auf sie zu. Als der Feuerschein die Person erfasste, sogen Ma’Haraz’ Mitstreiter scharf die Luft ein.
    Vor ihnen stand ein alter Mann auf dem Hof. Er war groß und spindeldürr. Er trug einen langen blauen Mantel mit hochgeschlagenem Kragen und einen Zylinder in derselben Farbe. Darunter kamen schlohweißes Haar und ein ebenso weißer Schnauz- und Backenbart zum Vorschein. Sein Gesicht wirkte konzentriert, und auf seiner rechten Schulter saß ein Rabe und gab nun zum dritten Mal ein freches »Krah« von sich.
    Plötzlich lag eine ungeheure Spannung in der Luft. Ma’Haraz blickte entschlossen in Richtung des Alten, machte aber keinen Schritt auf ihn zu noch sonst irgendeine Bewegung. Die Autorität, die der alte Mann ausstrahlte, war beinahe mit Händen greifbar.
    Lara überlegte einen Moment fieberhaft, wen sie vor sich haben mochten. Doch Ma’Haraz beantwortete diese Frage bereits.
    Â»Lord Hester.«
    Ma’Haraz’ Wüstensandstimme klang verächtlich, wenn auch nicht ohne Respekt.
    Der alte Mann machte ein paar Schritte auf sie zu, was die Armbrustschützen zum genauen Gegenteil veranlasste. Ma’Haraz jedoch blieb beharrlich vor der Gruppe stehen, obwohl ihm die Anspannung förmlich ins Gesicht geschrieben stand.
    Â»Meister Ma’Haraz«, begrüßte Lord Hester ihn im Plauderton. »Ich möchte nicht sagen, dass ich Eure Gesellschaft besonders schätze, aber es ist doch immer wieder interessant, unter welchen Umständen man sich wiedersieht.«
    Â»Lassen Sie uns in Ruhe, alter Mann«, schnaubte Ma’Haraz. »Wir haben Ihnen nichts getan.«
    Die stinkende Gestalt auf Valerius’ Arm gab ein angestrengtes Röcheln von sich.
    Â»Roland Winter«, fuhr Lord Hester fort, als sei dieser ihm gerade erst aufgefallen. Dann wandte er sich wieder an Ma’Haraz.
    Â»Es gibt doch seltsame Augenblicke, oder? Da begegnet man mitten in der Nacht einem Menschen – solange man von einem Menschen sprechen kann –, von dem man sich gewünscht hatte, ihn möglichst nie wieder zu sehen. Und seine dunklen Handlanger umringen ihn schützend wie ein Rudel Wölfe sein alterndes Alphatier. Indes, wo ist eigentlich Mr Goldstein?«
    Er schüttelte tadelnd den Kopf.
    Â»Gehen Sie endlich!«, schrie Ma’Haraz.
    Doch Lord Hester schüttelte nur weiterhin den Kopf.
    Â»Ich fürchte, das kann ich nicht«, meinte er mit gespieltem Bedauern. »Sie wissen doch, dass ich der Letzte bin in dieser Stadt, der das Wort erhebt, wenn es um die Fehden zwischen Adel und Vaganten oder Mechanikern und Alchemisten geht. Aber dass Sie im Begriff sind, dem Mann zur Flucht zu verhelfen, dessen Anwesenheit jeder in dieser Stadt mehr fürchtet als den eigenen Untergang, das , so fürchte ich, kann ich nicht zulassen.«
    Ma’Haraz schnaubte erneut. Er schien angestrengt nachzudenken, griff in seine Taschen.
    Â»Außerdem haben Sie dort einige Personen in ihrer Gewalt, deren Wohl der Stadt – oder sagen wir besser mir  – sehr am Herzen liegt.«
    Ein Rascheln und ein Raunen ging durch die Reihen der Raben, die zu Hunderten das Geschehen auf dem Hof verfolgten.
    Ma’Haraz packte die überraschte Lara am Arm und zog sie zu sich heran.
    Â»Verschwinden Sie endlich, alter Mann, oder hier wird heute Abend unnötig

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