Raya und Kill - Gefaehrliche Grenze
die jemand auf eine samtschwarze Decke geschüttet hat.
Ich genieße die Stille, die klare Luft und Kills
Nähe. Die Gills sind noch viele Götterberge von uns entfernt. Während wir auf
das Plateau zurückgeklettert sind, hat Kill ab und zu mit dem Fernglas hinüber
gespäht. Sie haben in der Zwischenzeit geschäftig eines ihrer stählernen Iglos
aufgebaut und Feuer gemacht. Den kleinen Lichtschein konnte sogar ich mit
bloßen Augen erkennen.
Von unserer Felsnische aus können wir sie nicht mehr
sehen, denn mehrere karstige Basaltklippen versperren uns die Sicht dort rüber.
Kill zieht eine Decke aus seinem Rucksack und
wickelt sie um meine Beine. Als mir die Augen zufallen, zieht er mich auf
seinen Schoss und legt den Arm fest um mich. Ich kuschele mich an ihn und
schlafe in seinen Armen ein.
Deal
N och ist der Himmel
grauschwarz, aber eine rote Spur zieht bereits Streifen über den östlichen
Horizont und vertreibt die Sterne. Die Luft ist frisch und klar. Der nächtliche
Wind hat sich gelegt. Stille liegt über den Bergen.
Kill lehnt mit dem Rücken schräg an der Felswand.
Ich spüre, wie er die Muskeln anspannt und sich ein Stück aufrichtet.
»Du siehst wunderschön aus, wenn du schläfst«,
flüstert er und streicht mit dem Finger sanft über meine Lippen.
Ich möchte mehr von seiner zärtlichen Berührung,
aber er hält inne und sieht mich an.
»Hast du mich etwa beobachtet?«, wispere ich.
Er lächelt. »Die ganze Nacht.«
»Hast du nicht.« Ich zwicke ihn in die Rippen.
»Doch habe ich.«
Er schiebt mit einer Hand meine Haare zur Seite
und bedeckt meinen Hals mit hauchzarten Küssen. Überall, wo er mich berührt,
kitzelt und kribbelt meine Haut.
Plötzlich hält er inne und drückt den Zeigefinger
fest auf meine Lippen. Ich wage es nicht, mich zu rühren. Erst nach einer Weile
entspannt er sich.
»Ich glaube, da hinten schleicht ein Tigare über
die Felsen«, flüstert er.
»Kann er uns gefährlich werden?«
»Er ist weit weg und so lange wir hier in der
Nische sind, kann er uns nicht riechen.«
Wir sitzen still da, horchen und warten. Aus
irgendeiner Gesteinsritze fiept es. Vielleicht sind
es Mauersegler.
»Sieh nur!«, rufe ich wenig später und unterdrücke
einen Jauchzer.
Die Sonne steigt flammendrot über dem Berg Ra in die Höhe. Osiris und Anubis kann
ich von unserem Platz aus nicht sehen. Aber Ra überragt alles. Er sieht aus wie ein riesiger, schwarzer Obelisk. Es
scheint, als hielte ein König sein Zepter in die Höhe, damit die Sonne das
Zeichen seiner Herrschaft mit ihrem Leuchten würdigen kann. Und allmählich
dämmert mir, warum dieser Berg nach dem ägyptischen Sonnengott benannt wurde.
Vor mir liegt das Tal mit den Obstplantagen und
den abgeernteten Feldern im goldenen Morgenlicht. Links von mir erblicke ich
einen Zipfel der Ernteburg. Sie liegt im Nebel. Den Turm kann ich von meiner
Position aus nicht sehen. Genaugenommen sehe ich nur eine Ecke vom Dach und
eine rote Fahne. Dafür habe ich einen Panoramablick auf die Stadt. Selbst aus
dieser Entfernung, und trotz des Nebels, ahne ich den zerfallenen Zustand der
Hochhäuser. Auf alten Fotos erscheint die Stadt in glitzerndem Silber und Glas.
Jetzt sehe ich nur noch die Farben Rostbraun und Schwarz. Dazu wuchernden Efeu.
Viele Türme sind schwer beschädigt. Die einstmals imposanten Glasfronten wurden
vor über hundert Jahren zugemauert. Manches ist auch mit Brettern vernagelt. Die
aufgegebenen Gebäude blieben einfach stehen. Sie zerfallen allmählich. Fensterlose,
nackte Gerippe.
Kill blickt mit zusammengekniffenen Augen zur
aufgehenden Sonne. »Bei uns erzählt man, die Tigare seien Söldner des
Sonnengottes. Wenn die Sonne geht, dann bewachen sie für ihn das Land. Wenn Ra
zurückkommt, verkriechen sie sich.«
Er lacht leise. »Fakt ist, Tigare sind lichtscheu.
Jetzt haben wir vermutlich nichts mehr zu befürchten.«
Behutsam schiebt er mich zur Seite. Er stopft die
Decke zurück in den Rucksack, wirft ihn hinunter und klettert an der Steilwand
hinterher. Zum Schluss springt er und landet auf dem Plateau zu unseren Füßen. Buddhas Schoß. Die letzten Meter waren
für ihn der sprichwörtliche Katzensprung. Für mich wird es nicht so einfach.
Vorsichtig klettere ich Stück für Stück hinab. Am letzten Abschnitt finde ich
einfach keine Stufe. Ich ziehe mich wieder hoch und drehe halb den Oberkörper.
Kill muss mir sagen, wo die verflixte Kante ist, in die ich meine Fußspitze
bohren kann. Aber er gibt
Weitere Kostenlose Bücher