Raya und Kill - Gefaehrliche Grenze
seufze. Mit diesem Einen, den ich will, wird diese Nähe niemals
möglich sein. Selbst ein einziges Mal wird mir einen qualvollen Tod bringen.
Sooft ich alle meine Möglichkeiten überdenke,
finde ich doch keine Antwort. Ich zermartere mir das Gehirn, wohlwissend, dass
der Tag, an dem ich mein Versprechen einlösen muss, unaufhaltsam näher rückt.
Da sich meine vorbestimmte Zukunft an Pa:ris’
Seite offenbar durch nichts mehr abwenden lässt, bin ich dankbar für jedes
bisschen Ablenkung. Babette besucht mich täglich. Die Krankenschwester sagt,
ich sei wegen der Medikamente nicht infektiös. Kiki und Alice lassen sich
trotzdem nicht blicken. Ich vermute, die beiden dürfen nicht zu mir, weil ich
auf der Station für die Premium-Zöglinge liege.
Heute Morgen hat mich die Ärztin untersucht. Sie
schien mit meiner Genesung zufrieden zu sein. Allerdings hat sie auch gesagt,
ich bräuchte drei Wochen, bis ich wieder richtig fit bin. Sobald das Fieber weg
sei, solle ich aufstehen und mich bewegen, damit meine Muskeln nicht abbauen.
Mir ist etwas mulmig bei dem Gedanken, völlig
schlapp bei Erikson zum Sport antreten zu müssen. Die Ärztin darf in diesem
Punkt einfach nicht recht haben. Kill wird mich auslachen und Erikson wird mich
anschreien. Oh Himmel , wann ist
dieser Albtraum endlich vorbei?
In der Tat muss ich mich sogar beim Zähneputzen
mit einer Hand am Waschbecken festhalten, so wackelig sind meine Knie.
Schweißgebadet schleiche ich zurück ins Bett und ziehe die Decke bis zum Kinn
hoch.
Mir ist kalt vor Erschöpfung.
Zum wiederholten Male frage ich mich, was aus dem
Zettel geworden ist, den ich im Schuh versteckt hatte. Vielleicht hatte ich
auch einfach nur Glück und irgendwer vom Personal hat das zerknüllte Papier
achtlos weggeworfen.
Ich schließe die Augen. Im Halbschlaf höre ich,
wie jemand die Klinke drückt und die Tür aufreißt.
»Schau mal, was ich dir mitgebracht habe!«
Babette fliegt beinahe zur Tür herein. Sie strahlt
übers Gesicht wie eine frisch gekürte Schönheitskönigin. Im Arm hält sie einen
braunen Folianten. Mit Schwung wirft sie das antike, in Leder gebundene Buch
auf mein Bett, schlägt es auf und blättert versonnen darin.
»Was ist das?«
»Wirst du gleich sehen.«
Sie hebt das riesige Buch ein Stück und ich
erkenne den Inhalt.
»Mode?«
»Bingo. Kleider und Schnitte. Anfang
einundzwanzigstes Jahrhundert. Das sind alte Zeitschriften aus der Bibliothek.
Man hat sie zu einem Buch verleimt. Ich musste ganz schön betteln, um es dir
mitbringen zu dürfen.«
»Ähm, wirklich nett, und was soll ich damit?«
»Du brauchst ein Kleid.«
Ich zucke zusammen. »Wozu?«
Babettes Finger fliegen über die Seiten. Das
Papier raschelt, während sie umblättert. Plötzlich stoppt sie und tippt mit dem
Zeigefinger auf ein Heft.
»In dieser Ausgabe sind sie drin.«
»Was?«
»Die Kleider.« Sie blinzelt.
»Ähm, ich trage keine Kleider. Niemals«, lüge ich.
Ihre Augen glänzen. »Ich sage dir, ein Traum in
Weiß.«
Ich schlucke. Mein Traum in Weiß hat mit Schnee zu
tun. Ich möchte einmal mit einem Schlitten einen Hang hinabrutschen, so wie ich
es in einem alten Roman gelesen habe.
»Da ist es!« Babette hält erneut das Buch hoch. »Wie
findest du’s?«
»Schööön«, kiekse ich und ziehe die Stirn kraus.
Das Kleid sieht aus wie eine dreistöckige Sahnetorte. Überall Rüschen.
Fürchterlich.
»Sag ehrlich, wie du es findest.«
»Ehrlich, schööön.«
Jetzt zieht Barbie die Stirn kraus und versucht
offenbar in meinem Gesicht zu lesen.
»Da sind auch noch andere Kleider drin, falls dir
das nicht gefällt.«
»Man kann doch auch in Gill-Uniform heiraten.«
Upps, das hätte ich besser nicht sagen sollen.
Barbies Mundwinkel sacken nach unten.
»Ehrlich? Willst du das? Na ja, dein Pa:ris wird
sicher mal beim Gill-Corps eine hohe Position bekleiden, aber sich so ganz den
Kampfeinheiten zu verschreiben, ich weiß ja nicht. So schick die Uniformen auch
sind, aber darin heiraten? Was sagt denn dein Zukünftiger dazu?«
»Ähm, er weiß noch gar nicht, dass ich die
Aufnahmeprüfung für die Kadettenschule ablegen will.«
»Oh weh, da habe ich aber was angerichtet. Wann
willst du es ihm denn sagen?«
»Am liebsten gar nicht, aber ich muss wohl.«
Zum ersten Mal wird mir bewusst, dass ich trotz
Heirat eine Gill werden will – besser gesagt: werden muss. Damit würde sich mein Traum von einem selbstbestimmten
Leben wenigstens halbwegs erfüllen. Als Gill würde
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