Readwulf
Herzschlag normalisierte sich dabei wieder und auch seine feste Umarmung lockerte sich.
Ich zog die Stirn in Falten. »Nein, noch nie.«
»Würdest du mit mir ...?«, fragte er nach einer kleineren Pause. »... den Eiffelturm ansehen?«, beendete ich seinen Satz.
Ich spürte, wie seine Anspannung gänzlich von ihm abfiel.
»Was hältst du von einem alten Weingut in der Provence mein Herz?« Und da war es wieder: Dieses umwerfende Lächeln, die strahlenden Zähne, welche im Dunkeln fast zu leuchten schienen. Wie sollte jemals eine Frau diesem Charme widerstehen können? Von mir ganz zu schweigen.
»Komm schon Jules, lass uns hier abhauen. Gleich morgen früh! Sag Nail du bist krank und dann fahren wir einfach los«, fuhr er fort. »Nur für ein paar Tage, bitte«, setzte er mitreißend nach.
Ich nickte bewegt und dann drückte er mich wieder fest an sich. Ein paar Tage nur mit ihm allein, das war fast zu schön, um wahr zu sein. Ich verstand zwar immer noch nicht, wieso er sich so komisch verhielt, war aber von diesen glänzenden Aussichten komplett überwältigt.
Die Aufregung raubte mir jeden Schlaf. Vielleicht lag es auch daran, dass er nicht geblieben war.
»Ich bin im Morgengrauen zurück«, hatte er gesagt und mich dann zum Abschied wieder auf die Stirn geküsst. Gott, wie mich diese Geste inzwischen nervte, denn seine Lippen wären mir viel lieber gewesen.
»Seine Handküsse sind genauso altbacken«, bemerkte ich kopfschüttelnd und dachte unwillkürlich an unser erstes Abendessen zurück. Dann holte mich die Erschöpfung doch noch ein und die Vorfreude bescherte mir einen schönen Traum mit sonniger Aussicht auf Romantik zu zweit.
***
Juliettes Geruch lag ihm in der Nase, als er das Treppenhaus erreichte.
Die komplette Etage war abgedunkelt, es gab nur vereinzelte Lichtquellen, wie Notausgangsschilder oder die vergessenen Schreibtischlampen nachlässiger Mitarbeiter.
Readwulf fand Jules Tasche neben einem Schreibtisch. Er folgte ihrem Duft auf die andere Gebäudeseite, wieder durch das Treppenhaus in Richtung Sezierraum. Auch hier schien sie nicht zu sein, da alle Lichter aus waren und ihr Geruch zu schwach war, für ihre Anwesenheit.
Er lauschte in die Dunkelheit und lokalisierte ein Geräusch, eher ein Wimmern. Die leise Stimme klang kläglich, doch das anschließende Gehämmer gegen die Stahltür vor ihm dröhnte in seinen Ohren.
Was macht die nur für Sachen? , dachte er kopfschüttelnd. Read riss den Hebel nach oben und befreite die durchgefrorene Frau aus ihrem eisigen Gefängnis.
Sie musste einige Stunden dort verbracht haben. Jules Zustand war jämmerlich, aber sie war ansprechbar. Instinktiv reagierte Read und brachte sie auf direktem Weg nach Hause. Dabei achtete er darauf, sie möglichst wenig zu bewegen und ihren Körpermitte Mittels zweier Decken, aus seinem Kofferraum wieder aufzuwärmen.
Die Arme und Beine später erst in der Wanne aufwärmen , schoss ihm durch den Kopf. »Sonst bekommt sie einen Schock«, erklärte er sich selbst.
Die Situation, in der er sie vorgefunden hatte, war recht eindeutig. Juliette konnte sich nicht selbst eingesperrt haben, die Verriegelung saß viel zu fest dafür und auch die extreme Kälte war ihm sofort aufgefallen. Das alles wirkte verdächtig und wurde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit manipuliert. Jemand hatte es auf Jules abgesehen. Er verstand nur noch nicht warum.
Wenige Minuten später erreichten sie Juliettes Wohnung. Es verwunderte ihn, wie schnell die Wärme in ihren Körper zurückgekehrte. Als das Zittern nachließ, wollte er mit ihr sprechen. Er hatte ihr so viel zu erklären. Ihre leibliche Mutter lebte, das musste sie unbedingt erfahren.
Doch dann begann sie, ihm das schreckliche Erlebnis genau zu schildern. Er bemerkte, wie sehr sie inzwischen an sich zweifelte. Ihre Angst war spürbar und daher entschied er, ihr vorerst nicht noch mehr zuzumuten. Auch wenn sie kein zerbrechliches Rehlein sein wollte, sein Beschützerinstinkt war geweckt.
Er hielt sie im Arm. Ein Schauer lief ihm über den Rücken, als er sich dabei ertappte, die Situation zu genießen. Ihre Nähe war verführerisch. Sein Verlangen war stark, sein Wille stärker.
Abgelenkt summte er ein altes Wiegenlied an, welches ihm Darius als Kind vorgesungen hatte. Damals, als er zu ihm noch ein väterliches Band hatte und er sich noch wie sein leiblicher Sohn gefühlt hatte. Damals, als er bemerkte, dass seine Wunden sehr schnell heilten, wenn er sich
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