Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Readwulf

Readwulf

Titel: Readwulf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofi Mart
Vom Netzwerk:
verbittert.
    »Bitte verzeih mir Juliette, dass ich nicht deine Mutter sein konnte. Bitte verzeih mir.« Sie legte ihren Kopf in meinen Schoss und weinte lauter.
    Es war seltsam. Ich fühlte ihren Schmerz, als wenn es mein eigener wäre. Marie Ann war mir immer eine gute Mutter gewesen. Sie ließ mich nichts vermissen, aber in diesem Moment fühlte ich Manons Verlust. Ich fühlte endlich etwas, auch wenn es nicht Hass oder Verachtung waren, wie ich es mir hätte eher vorstellen können. Diese Frau, deren Tränen gerade mein Kleid durchnässten, war randvoll an Gefühlen für mich.
    Ich war überwältigt und überrumpelt, doch nun hielt mich nichts mehr zurück. Ich rutschte neben sie zu Boden. Nahm sie in die Arme. Meinen Tränen ließ ich freien lauf. Eine ganze Zeit lang umklammerten wir uns abwechselnd. Zwischendurch ein Blick, ein liebes Wort, eine weitere Erklärung zu unser beider Schicksal. Es blieb nichts unangesprochen. Ich hatte an diesem Abend noch immer meine Mom verloren, aber Manon dazu gewonnen. Ein Fleckchen der Leere in mir war verschwunden.
    Manon tat mir gut. Ich verstand die Umstände so, wie sie sie mir versuchte zu erklären. Ich nahm ihre Not an und vergab, ohne wirklich etwas vergeben zu müssen. Wir versprachen einander uns besser kennen zu lernen. Es war unfassbar schön, das zulassen zu können.

    Manon holte eine kleine Truhe aus ihrem Zimmer. Sie hatte alles aufgehoben: Meine ersten Schühchen (die ich leider nie getragen hatte), einen Schnuller, einige Babybilder und sogar ein selbstgestricktes Mützchen.
    Ich griff in der Holzkiste nach einer alten Spieluhr. Meine Hand zitterte ein wenig, als ich den Schlüssel drehte. Ich wusste bereits vorher welche Melodie erklingen würde. Die Erinnerungen an Marie Ann und meine Kindheit wurden augenblicklich schärfer. Manon erklärte mir, dass sie die Uhr von meinem Vater geschenkt bekommen hatte, gleich nachdem sie erfahren hatten, dass sie schwanger war. Sie habe dieses schöne Stück nur aus Sentimentalität aufgehoben, alle anderen Geschenke von meinem Vater hätte sie nach der Trennung verbrannt oder weggegeben.
    »Woher kannte Mom dieses Lied?«, fragte ich.
    »Ich habe es ihr wohl erzählt. Du hast dich sofort beruhigt, wenn ich es dir vorgespielt habe. Und dann bist du immer gleich eingeschlafen«, erklärte Manon und strich dabei mit den Fingerspitzen über die Uhr.
    An diesem Abend hatte ich einen Teil von mir zurück bekommen, den ich längst verloren glaubte. Die Sorge um mein Leben, dass wir verfolgt wurden, war wie weggewischt.
    Wir tranken Rotwein aus Claudes eigenem Anbau. Die Männer spielten eine Partie Schach und Manon hielt den ganzen Abend meine Hand.
    So geborgen fühlte ich mich schon lange nicht mehr. Und ganz ohne Schutz waren wir natürlich nicht. Readwulf hatte nach dem Überfall `gewisse Vorkehrungen´ getroffen. So nannte er dies jedenfalls. Auch Poltron ließ mich nicht aus den Augen und folgte mir wie ein Schatten.

    Gegen dreiundzwanzig Uhr verabschiedete sich Readwulf nach oben in sein Zimmer. Wenig später zog auch ich mich zurück. Gerade als ich meinen Pyjama anziehen wollte, klopfte es an der Tür. Ich zog den Bademantel über und öffnete. Read lehnte lässig am Türrahmen und deutete mit dem Zeigefinger auf mein Bett.
    »Bitte?«, entgegnete ich und dachte: Unverschämtheit, aber süß.
    Vielleicht konnte er mir meine kleine Entrüstung ansehen, oder wirklich Gedanken lesen. Sein Zeigefinger bewegte sich nach links und rechts begleitet von: »Nicht das!« Sein Kinn wies erneut in die Richtung meines Bettes. Ich drehte mich um und entdeckte, fein säuberlich zurecht gelegt, meine Jeans, ein T-Shirt und eine warme Sweetshirtjacke. Wieso war mir das vorher nicht aufgefallen?
    »Komm, beeil dich. Wir haben noch etwas vor«, sagte er charmant lächelnd.
    »Was hast du vor?«, fragte ich kritisch.
    »Nicht ich, wir! Mach schon.«
    Das ließ ich mir nicht noch einmal sagen und daher flog die Tür mit Schwung ins Schloss. Auch wenn ich fast platze vor Neugier, lies ich mir etwas Zeit beim Umziehen.
    »Einen Tipp, wo du jetzt noch hin willst, bekomme ich nicht,oder?«, rief ich durch die geschlossene Tür. Wie erwartet bekam ich keine Antwort. Vielleicht hatte ich aber auch nur seine Stirn erwischt.
    Ich zog gerade die Nikes über die nackten Füße, als ich aufsah und erschrocken zusammen zuckte. Readwulf stand neben mir am Bett. Wie war er nur so lautlos in mein Zimmer gekommen? Wie lange stand er da schon? Meine

Weitere Kostenlose Bücher