Reagans Satellit
lassen. Aber der Nachbar wartete auf ihn.
*
Silvester 1991.
Der letzte Tag des Jahres. In den alten Zeiten der Barbarei, als noch der Gregorianische Kalender galt, hatte man ihn als den 31. Dezember bezeichnet. Nun jedoch, unter der Gültigkeit des Weltkalenders, besaßen nur noch die ersten Monate der Quartale einunddreißig Tage, also Januar, April, Juli und Oktober. Die anderen, einschließlich Februar, umfaßten bloß dreißig Tage. Der Weltkalender kannte keinen 31. Dezember. Der letzte Tag des Jahres war ein Tag ohne Datum – Silvester. Diese Regelung bestand seit 1980, einem Schaltjahr, in dem es einen zweiten zusätzlichen Tag zwischen dem 30. Juni und dem 1. Juli gegeben hatte.
Die Regans befanden sich im Weißen Haus, wo Präsident Hammond seine Neujahrsfeier veranstaltete. Der Präsident hatte einhundert erlesene Gäste geladen. UN-Generalsekretär Hannikainen war dort, ferner eine auserwählte Gruppe von Botschaftern, die meisten aus asiatischen und afrikanischen Ländern, und das keineswegs zufällig. Außerdem waren die Faktoristen der zwölf größten Gesellschaften anwesend – zum erstenmal seit Jahren standen sie unter demselben Dach. Man sah auch ein paar Senatoren und zwei Richter des Bundesgerichtshofs, darunter Bundesrichter Steinfeld.
Die Welt der Künste war nicht völlig mißachtet worden. Ein Dichter oder zwei, ein Komponist und ein Maler waren eingeladen worden und erschienen. Regan lauschte einem schmächtigen Pianisten mit einem recht bewunderungswürdigen weißen Haarschopf, der auf Wunsch der First Lady ein Stück von Chopin spielte.
»Er spielt gut«, bemerkte Regan. »Wie heißt der Mann?«
»Van Cliburn«, flüsterte der Bundesrichter erstaunt.
»Oh, natürlich«, sagte Regan und kicherte.
Der Faktorist mischte sich unter die übrigen Gäste. Vor zehn Jahren, hätte man ihn in einen so erlauchten Kreis geladen, würde er sich durch Schroffheiten und Herausforderungen ausgezeichnet haben. Heute, nach zwei Jahren als Faktorist, akzeptierte er diese Art von Gesellschaft mit Gelassenheit. Mit dem finanziellen Polster eines Faktoristen fiel es allerdings leicht genug, sich in eine angemessene Stimmung zu versetzen. Regan lächelte verständnisvoll Männer an, die zweimal so alt wie er waren, Männer, die Schlagzeilen gemacht hatten, bevor er das Licht der Welt zu sehen bekam. Einer der sieben ersten Astronauten war dort, gekleidet in seinen weißen Mannschaftsanzug. Er lächelte schwach. Regan schüttelte ihm die Hand, wechselte zwei oder drei Worte mit ihm und ging weiter. Nola unterhielt sich mit einem berühmten alten Dirigenten, und Präsident Hammond stand dabei, nickte und lachte gelegentlich aus vollem Hals. Regan ließ sich ein Glas mit Champagner reichen. Faktorist Davidson von der Interworld, gleich hinter Regan der zweite Mann im Finanzgeschäft, blickte zu Regan herüber und lächelte freundlich. Regan erwiderte das Lächeln. Im Smoking fand man sich leichter zu Höflichkeiten bereit, dachte Regan. Zwischen der Global Factors und der Interworld existierte nicht eben die größte Zuneigung, aber die Fassaden mußten erhalten bleiben.
Regan schlürfte den Champagner. Präsident Hammond schlenderte hinzu.
»Wie geht es mit der Weltausstellung voran?« erkundigte sich Hammond.
»Wir machen Fortschritte, Tom.«
»Ich wette, du haßt mich dafür, daß ich dich in diese Angelegenheit verwickelt habe, wie?«
Regan schüttelte den Kopf. »Es ist eine sehr interessante Aufgabe, Tom. Ich hätte sie für nichts in der Welt einem anderen Mann überlassen.«
»Das freut mich, daß du so davon denkst. Kein Zweifel, die Weltausstellung wird ein Riesenerfolg sein, Claude. Sie wird dich für immer berühmt machen.«
Regan lächelte trotz des Unbehagens, das er empfand. Er hegte noch einige Zweifel am Erfolg der Weltausstellung. Und die Berühmtheit, die sie ihm verschaffen würde, mochte womöglich von einer Art sein, die nicht unbedingt zu den wünschenswerten zählte.
Er nahm einen Keks von einem Tablett, das vorbeigetragen wurde, sah Nola, die gerade über eine Äußerung von Generalsekretär Hannikainen lachte, und strebte hinüber. Heute abend sah Nola verwirrend schön aus; unter den anwesenden Frauen war sie sicherlich die attraktivste. Jedenfalls hatten das schon ein halbes Dutzend Männer geschworen. Selbstverständlich konnten sie nicht ahnen, daß die Regans mittlerweile verschiedene Flügel ihres Hauses bewohnten. Wieder und wieder beglückwünschten Gäste
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