Rebecca
müßte.»
«Ja, zweifellos», pflichtete die Pflegerin ihr bei und hielt einen Augenblick mit dem wilden Nadeltanz inne. «Was für ein hübscher Zeitvertreib. Ich hatte eine Freundin, die hat geradezu Wunder mit ihrem Bleistift vollbracht. Wir waren einmal über Ostern zusammen in der Provence, und sie hat so bezaubernde Sachen gemacht.»
«Wie nett», sagte ich.
«Wir sprechen gerade über Zeichnen», rief Beatrice ihrer Großmutter ins Ohr. «Du hast bestimmt noch gar nicht gewußt, daß wir ein Malgenie in der Familie haben.»
«Wer ist ein Malgenie?» fragte die alte Dame. «Ich kenne keines.»
«Deine neue Enkelin», sagte Beatrice. «Frag sie doch einmal, was ich ihr zur Hochzeit geschenkt habe.»
Ich lächelte und wartete auf die Frage. Die alte Dame wandte ihren Kopf in meine Richtung.
«Was erzählt Bee mir da?» sagte sie. «Daß du malst, habe ich nicht gewußt. Wir haben noch nie einen Künstler in der Familie gehabt.»
«Beatrice macht nur Spaß», sagte ich. «Ich bin gar keine richtige Künstlerin. Ich zeichne nur ein wenig zu meinem Vergnügen. Ich habe niemals Unterricht gehabt. Aber Beatrice hat mir ein paar wunderschöne Bücher geschenkt.»
«So», sagte sie etwas verdutzt. «Bücher hat dir Beatrice geschenkt? Das nenne ich aber Eulen nach Athen tragen. In der Bibliothek von Manderley gibt es doch wahrhaftig Bücher genug.»
Sie lachte herzlich über ihren Scherz, und wir stimmten alle ein. Ich hoffte, daß das Thema damit erledigt wäre, aber Beatrice mußte noch weiter darauf her-umreiten. «Du verstehst nicht, Granny», sagte sie. «Es waren ja keine gewöhnlichen Bücher, sondern vier dicke Wälzer über Kunst.»
Die Pflegerin beugte sich vor, um auch ihre Fassung von der Geschichte loszuwerden. «Mrs.
Lacy hat nur erzählt, daß Mrs. de Winter sehr gern zu ihrem Vergnügen zeichnet. Deshalb hat sie ihr vier wunderschöne Bände, alle nur über Malerei, zur Hochzeit geschenkt.»
«Was für ein komischer Einfall», meinte die alte Dame. «Ich halte nicht viel von Büchern als Hochzeitsgeschenk. Mir hat kein Mensch Bücher geschenkt, als ich heiratete. Ich hätte sie auch bestimmt nicht gelesen.»
Sie lachte wieder. Beatrice sah etwas gekränkt aus. Ich lächelte ihr zu, um sie aufzumuntern, aber ich glaube nicht, daß sie es bemerkte. Die Pflegerin hatte ihre Arbeit wieder aufgenommen.
«Ich will meinen Tee haben», sagte die alte Dame plötzlich quengelig. «Ist es noch nicht halb fünf? Warum bringt denn die Norah nicht den Tee?»
«Was? Schon wieder hungrig, nachdem wir so gut zu Mittag gegessen haben?» sagte die Pflegerin, indem sie sich erhob und ihre Pflegebefohlene mit ihrem strahlenden Lächeln bedachte. Sie klopfte die Kissen zurecht und stopfte die Decken fest.
Maxims Großmutter ließ alles geduldig über sich ergehen. Sie schloß nur ihre Augen, als ob sie müde sei. So sah sie Maxim ähnlicher denn je. Ich konnte mir vorstellen, wie hübsch sie in ihrer Jugend ausgesehen haben mußte, groß und schlank. Ich sah sie durch die Ställe von Manderley gehen und den Pferden Zucker geben, und wie sie den langen Rock hochhob, um ihn nicht durch den Schmutz schleifen zu lassen. Sie mußte jetzt hier allein mit der Pflegerin in diesem rotleuchtenden Giebelhaus leben, bis es auch für sie an der Zeit war, zu sterben.
Was mochte sie jetzt fühlen, welche Gedanken mochten sie bewegen?
Wußte sie, daß Beatrice mit einem Gähnen auf ihre Uhr sah? Erriet sie wohl, daß wir nur gekommen waren, weil wir es für richtig, für unsere Pflicht hielten, und damit Beatrice auf dem Heimweg mit einem Seufzer der Erleichterung sagen konnte: «So, jetzt habe ich mein Gewissen für drei Monate beruhigt»?
Dachte sie wohl noch manchmal an Manderley zurück? Erinnerte sie sich an die Mahlzeiten an dem Eßtisch, an dem ich jetzt ihren Platz einnahm? Ließ sie sich wohl damals ihren Tee auch manchmal zur Kastanie hinausbringen? Ich wünschte, ich hätte ihr meine Hände aufs Gesicht legen und die Last der Jahre von ihr nehmen können; ich hätte sie wieder jung sehen mögen, so wie sie einstmals war, mit rosigen Wangen und kastanienbraunem Haar, lebhaft und energisch wie die Enkelin an ihrer Seite, und sie wie Beatrice sich über Fuchsjagden, Hunde und Pferde unterhalten hören, anstatt mit geschlossenen Augen so teilnahmslos dazusitzen, während die Pflegerin ihr die Kissen im Rücken aufschüttelte.
«Heute gibt’s eine besondere Überraschung für uns», sagte die Pflegerin.
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