Rebecca
war mir nicht um mich selbst zu tun. Wenn ich allein gewesen wäre, hätte mir dieser Zwischenfall gar nichts ausgemacht. Ich dachte nur an Beatrice; ihr mußte es sehr peinlich und unangenehm sein.
Als wir das Dorf hinter uns hatten, drehte sie sich zu mir um. «Es tut mir schrecklich leid, Liebste», begann sie. «Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.»
«Mach doch keine Geschichten, Beatrice», unterbrach ich sie hastig. «Es macht mir wirklich nichts aus. Ich fand gar nichts dabei.»
«Ich habe ja nicht ahnen können, daß sie so etwas tun würde», fuhr Beatrice fort, «sonst wäre es mir natürlich auch nicht im Traum eingefallen, dich mitzunehmen. Es tut mir furchtbar leid.»
«Es braucht dir aber gar nicht leid zu tun. Bitte, sprich doch nicht mehr darüber.»
«Ich hatte ganz vergessen, wie sehr sie an Rebecca hing», sagte Beatrice dann langsam. «Sie hat immer ein großes Theater mit Granny gemacht und sie öfters nach Manderley geholt. Die arme liebe Granny war damals na-türlich noch viel munterer als jetzt. Sie konnte sich über alles, was Rebecca sagte, vor Lachen schütteln. Sie war ja auch wirklich sehr amüsant, und die alte Dame genoß das sehr. Sie hatte ein erstaunliches Talent – Rebecca, meine ich –, mit Menschen umzugehen. Granny hat sie eben noch nicht vergessen. Meine Liebe, du wirst mir für diesen kleinen Ausflug gewiß nicht danken.»
«Es macht mir nichts aus, wirklich nicht», wiederholte ich mechanisch. Wenn Beatrice doch nur das Thema fallenlassen wollte – es interessierte mich gar nicht. Schließlich, war es denn so wichtig? War denn überhaupt irgend etwas wichtig?
«Giles wird außer sich sein», sagte Beatrice. «Er wird mir Vorwürfe machen, daß ich dich mitgenommen habe. ‹Du bist wohl von allen guten Geistern verlassen, Bee!› Ich höre ihn förmlich. Das wird noch einen netten Krawall geben.»
«Erzähl ihm doch nichts davon», entgegnete ich. «Mir wäre es viel lieber, es bliebe unter uns.
Sonst spricht’s sich nur herum, und dann wird die ganze Geschichte aufgebauscht.»
«Giles wird es mir vom Gesicht ablesen, daß irgend etwas los ist. Ich habe noch nie etwas vor ihm verbergen können.»
Ich schwieg. Das einzige, woran ich jetzt dachte, war, daß Maxim hiervon nie etwas zu hören bekommen durfte. Vielleicht würde ich es eines Tages Frank Crawley erzählen, aber jetzt noch nicht – irgendwann später einmal.
Bald darauf hatten wir die Abzweigung erreicht, die über den kleinen Hügel nach Kerrith führte. Die grauen Dächer des Städtchens waren schon zu sehen, und dort hinten, rechts in der Talsenke, lag der dunkle Wald von Manderley, und in der Ferne leuchtete glitzernd die See.
«Hast du es furchtbar eilig, nach Hause zu kommen», fragte Beatrice.
«Nein, warum?»
«Würdest du es mir sehr übelnehmen, wenn ich dich schon am Parktor absetzte? Wenn ich nämlich jetzt wie der Teufel rase, dann erwische ich Giles noch, wenn er mit dem Londoner Zug ankommt, und er kann sich das Bahnhofsauto sparen.»
«Doch, natürlich», sagte ich. «Ich gehe das Stück sehr gern zu Fuß.»
«Das ist nett von dir», sagte sie dankbar.
Ich hatte den Eindruck, daß der Nachmittag ihr auf die Nerven gegangen war und daß sie allein sein wollte. Vermutlich scheute sie auch eine Fortsetzung der Teestunde auf Manderley. Ich stieg am Tor aus dem Wagen, und wir küßten uns zum Abschied.
«Sieh zu, daß du ein bißchen dicker wirst bis zum nächsten Mal», sagte sie. «Es steht dir nicht, so dünn zu sein. Grüß Maxim von mir und trag mir das mit Granny nicht nach.» Sie verschwand in einer Staubwolke, und ich wandte mich zum Tor.
Während ich den Weg entlangging, überlegte ich mir, ob er sich wohl sehr verändert hatte, seit Maxims Großmutter hier als junge Frau am Pförtnerhaus vorbeikutschiert war und die Pförtnerin gegrüßt hatte, so wie ich es jetzt tat.
Ich dachte nicht an die alte Frau, die jetzt in Decken gehüllt in ihren Kissen lag. Ich sah sie vor mir in ihrer Jugend, als Manderley ihr Heim gewesen war; ich sah sie durch den Garten wandern, und um sie herum hüpfte in fröhlichen Sprüngen auf seinem Steckenpferd ein kleiner Junge, Maxims Vater. Er trug einen Samtkittel und einen steifen weißen runden Kragen. Und dann sah ich noch die alte Dame, wie sie vor ein paar Jahren am Stock über die Terrasse von Manderley schritt, und Arm in Arm mit ihr eine lachende junge Frau, groß, schlank und auffallend schön, die, wie Beatrice gesagt hatte, das
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