Rebecca
«Sandwiches mit Brunnenkresse. Das mögen wir doch gern, nicht wahr?»
«Ist denn heute wieder Kressentag?» sagte Maxims Großmutter, hob den Kopf etwas vom Kissen und blickte zur Tür. «Das haben Sie mir gar nicht gesagt. Wo bleibt denn nur Norah mit dem Tee?»
«Ich würde nicht für tausend Pfund am Tag in Ihrer Haut stecken wollen, Schwester», sagte Beatrice leise.
«Oh, ich bin es gewohnt, Mrs. Lacy», erwiderte die Pflegerin lächelnd. «Ich habe hier eine sehr angenehme Stellung. Natürlich haben wir manchmal auch unsere schlechten Tage, aber es könnte noch viel schlimmer sein. Sie ist wirklich nicht schwierig, gar nicht wie viele andere Patienten, die ich gehabt habe. Und die Dienstboten sind auch sehr freundlich und hilfsbereit, und das ist eigentlich die Hauptsache. Na, da kommt ja Norah.»
Wir rückten unsere Stühle an den kleinen Tisch; die Pflegerin machte die Sandwiches für die alte Dame zurecht.
«Hier haben wir jetzt unseren Teller, ist das nicht eine Freude?»
Ein kleines Lächeln flog über das müde Gesicht. «Ich hab Kressentag sehr gern», sagte sie.
Der Tee war kochend heiß, man verbrühte sich den Mund daran. Die Pflegerin schlürfte ihn in kleinen Schlucken.
«Hatten Sie gutes Wetter in Italien?» fragte sie mich.
«Ja, es war sehr warm», antwortete ich.
Beatrice wandte sich an ihre Großmutter. «Sie haben himmlisches Wetter während ihrer Flitterwochen in Italien gehabt», sagte sie. «Maxim war ganz braun gebrannt.»
«Warum ist Maxim heute nicht da?» fragte die alte Dame.
«Aber das habe ich dir doch schon gesagt, Liebste, Maxim mußte nach London fahren», erklärte Beatrice etwas ungeduldig. «Irgendein offizielles Essen, weißt du. Giles mußte auch hin.»
«Ach so. Warum sagtest du denn, daß Maxim in Italien ist?»
«Er war in Italien, Granny, im April. Jetzt sind sie beide wieder in Manderley.» Sie blickte zur Pflegerin hinüber und zuckte die Achseln.
«Mr. und Mrs. de Winter sind jetzt wieder in Manderley», wiederholte die Pflegerin.
«Es ist jetzt herrlich dort», sagte ich und beugte mich zu der alten Dame vor. «Die Rosen stehen in voller Blüte; zu dumm, daß ich dir keine mitgebracht habe.»
«Ja, ich mag Rosen», sagte sie abwesend, und dann blinzelte sie mich mit ihren trüben blauen Augen forschend an: «Wohnen Sie denn auch auf Manderley?»
Ich schluckte. Es entstand eine kleine Pause. Dann unterbrach Beatrice mit ihrer lauten, ungeduldigen Stimme das Schweigen: «Aber, Granny, Liebste, du weißt doch genau, daß sie dort lebt. Sie und Maxim sind doch verheiratet.»
Ich bemerkte, daß die Pflegerin ihre Tasse abstellte und einen aufmerksamen Blick auf die alte Dame warf. Sie war in ihre Kissen zurückgesunken, ihre Finger zupften an ihrem Tuch, und um ihren Mund begann es zu zucken.
«Ihr redet alle so viel, ich verstehe gar nichts mehr.» Dann sah sie wieder zu mir hin und schüttelte verwundert den Kopf. «Wer sind Sie denn, meine Liebe? Ich habe Sie ja noch nie gesehen. Ihr Gesicht kommt mir gar nicht bekannt vor; ich kann mich nicht erinnern, Sie jemals auf Manderley gesehen zu haben. Bee, wer ist denn dieses Mädchen? Warum hat Maxim nicht Rebecca mitgebracht? Ich hab Rebecca so gern. Wo ist sie?»
Ein langes peinliches Schweigen. Ich fühlte, wie mir das Blut in die Wangen stieg. Die Pflegerin erhob sich rasch und trat an den Korbstuhl.
«Ich will Rebecca», wiederholte die alte Dame. «Was habt ihr mit Rebecca getan?» Beatrice stand so ungeschickt auf, daß Tassen und Teller klirrten. Sie war ebenfalls sehr rot geworden und preßte die Lippen fest aufeinander.
«Ich glaube, es ist besser, Sie gehen jetzt, Mrs. Lacy», sagte die Pflegerin, die etwas von ihrer Selbstbeherrschung verloren zu haben schien. «Wir sind jetzt ein wenig müde; und wenn wir einmal den Faden verloren haben, dann dauert es oft Stunden, bis wir ihn wieder gefunden haben. Und wir regen uns dabei immer so sehr auf. Es tut mir sehr leid, daß das gerade heute geschehen mußte, aber Sie werden das schon verstehen, Mrs. de Winter.» Sie wandte sich entschuldigend an mich.
«Aber natürlich», sagte ich, «ich halte es auch für besser, wenn wir jetzt gehen.»
Beatrice und ich ergriffen unsere Taschen und Handschuhe und gingen durch das Wohnzimmer und die Diele zur Tür hinaus, ohne das Hausmädchen zu rufen. Beatrice startete wortlos den Wagen, und wir fuhren über den glatten Kiesweg durch das weiße Tor auf die Landstraße hinaus.
Ich starrte vor mich hin. Es
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