Rebecca
Talent besaß, sich bei allen Menschen beliebt zu machen, die jeder gern hatte, dachte ich, die jeder lieben mußte.
Als ich schließlich den langen Weg hinter mich gebracht hatte, sah ich Maxims Wagen vor der Treppe stehen. Mir wurde leicht ums Herz, und ich lief schnell ins Haus. Sein Hut und seine Handschuhe lagen in der Halle auf dem Tisch. Ich ging auf die Bibliothek zu, und beim Näherkommen hörte ich Stimmen; die eine übertönte jetzt die andere. Ich zögerte einen Augenblick vor der geschlossenen Tür.
«Sie können ihm von mir bestellen, daß ich ihm verbiete, Manderley noch einmal zu betreten, verstehen Sie? Von wem ich es erfahren habe, dürfte dabei ganz unwichtig sein. Es genügt, daß ich weiß, daß sein Wagen gestern nachmittag hier gesehen worden ist. Wenn Sie ihn unbedingt wiedersehen wollen, dann tun Sie das gefälligst anderswo. Ich wünsche ihn nicht mehr auf meinem Grund und Boden anzutreffen, verstanden? Vergessen Sie das nicht, ich sage es Ihnen zum letztenmal!»
Ich schlich mich auf Zehenspitzen zur Treppe, und als ich die Tür hinter mir aufgehen hörte, huschte ich hastig hinauf und versteckte mich in der Galerie. Mrs. Danvers kam aus der Bibliothek heraus und schloß die Tür leise zu.
Ich duckte mich hinter das Geländer, um nicht gesehen zu werden, aber vorher hatte ich noch einen kurzen Blick von ihrem Gesicht erhascht: es war verzerrt und grau vor Wut – mir schauderte.
Sie ging mit lautlosen Schritten durch die Halle und verschwand durch die Tür, die in die hinteren Räume führte.
Ich wartete einen Augenblick, bevor ich langsam wieder hinunterstieg. Ich öffnete die Tür zur Bibliothek und ging hinein. Maxim stand am Fenster, den Rücken zum Zimmer gekehrt, und betrachtete einen Brief in seiner Hand. Mein erster Impuls war, mich unbemerkt wieder hinauszustehlen und mich in mein Schlafzimmer zurückzuziehen. Er mußte mich aber gehört haben, denn er drehte sich mit einer ungeduldigen Bewegung um.
«Was ist denn jetzt schon wieder?» sagte er.
Ich lächelte und streckte ihm meine Hände entgegen. «Hallo!» begrüßte ich ihn.
«Ach, du bist es …»
Ich sah auf den ersten Blick, daß ihn irgend etwas schrecklich erzürnt haben mußte. Seine Lippen bildeten einen harten Strich, und seine Nasenflügel waren weiß und bebten. «Wie hast du dir die Zeit vertrieben?» fragte er mich. Er küßte mich auf den Scheitel und legte seinen Arm um meine Schulter. Ich hatte das Gefühl, daß es sehr lange her war, seit wir uns gestern getrennt hatten.
«Ich habe deine Großmutter besucht», sagte ich. «Beatrice hat mich in ihrem Wagen abgeholt.»
«Wie geht’s denn der alten Dame?»
«O danke, gut.»
«Wo ist denn Bee geblieben?»
«Sie wollte Giles noch von der Bahn abholen.»
Wir setzten uns nebeneinander auf die Fensterbank. Ich nahm seine Hand in meine. «Ich fühlte mich so allein», sagte ich. «Ich habe dich schrecklich vermißt!»
«Hast du das?» fragte er.
Wir sagten eine Weile nichts, ich hielt nur seine Hand.
«War es sehr heiß in London?» fragte ich dann.
«Ja, schrecklich. Ich kann diesen Lärm und Gestank dort nicht ausstehen.»
Ich war neugierig, ob er mir erzählen würde, was soeben zwischen ihm und Mrs. Danvers vorgefallen war, und ich hätte gern gewußt, wer ihm Favells Anwesenheit verraten hatte.
«Bedrückt dich irgend etwas?» fragte ich.
«Ich habe einen anstrengenden Tag hinter mir», sagte er. «Diese lange Wagenfahrt zweimal in vierundzwanzig Stunden ist etwas viel.»
Er erhob sich, ging ins Zimmer und steckte sich eine Zigarette an. Da wußte ich, daß er mir nichts von seiner Unterhaltung mit Mrs. Danvers erzählen wollte.
«Ich bin auch müde», sagte ich leise. «Es war heute ein merkwürdiger Tag.»
16
Ich erinnere mich genau an den Tag, an dem das Gespräch zum erstenmal auf den Kostümball kam: es war ein Sonntagnachmittag, an dem wir plötzlich von einem Schwarm von Besuchern überfallen wurden. Frank Crawley war zum Mittagessen herübergekommen, und wir freuten uns schon alle drei auf einen friedlichen Nachmittag unter dem Kastanienbaum, als wir das verhängnisvolle Geräusch eines Wagens hörten, der in die Kurve vor dem Haus einbog. Es war zu spät, um Frith zu verständigen; der Wagen überraschte uns auf der Terrasse mit Kissen und Zeitungen unter dem Arm.
Wir mußten also gute Miene zum bösen Spiel machen und die unerwarteten Gäste begrüßen.
Und wie das so häufig der Fall zu sein pflegt, sollten dies nicht unsere
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