Rebecca
alter und blinder Maxim aussehen. Die Pflegerin erhob sich von dem Stuhl neben ihr und legte ein Lesezeichen in das Buch, aus dem sie gerade vorgelesen hatte. Sie lächelte Beatrice zu.
«Guten Tag, Mrs. Lacy», sagte sie.
Beatrice schüttelte ihr die Hand und stellte mich vor. «Die alte Dame sieht ja ganz wohl aus», sagte sie. «Es ist mir ein Rätsel, wie sie das mit ihren sechsundachtzig Jahren fertigbringt.
Hallo, da sind wir, Granny», wandte sie sich dann mit erhobener Stimme zu ihrer Großmutter, «gesund und fröhlich wie immer.»
Die alte Dame blickte in unsere Richtung. «Du bist ein gutes Kind, Bee, und es ist lieb von dir, mich zu besuchen. Wir sind ja hier so langweilig und können dir nichts Amüsantes bieten.»
Beatrice beugte sich über sie und küßte sie auf die Wange. «Ich habe dir Maxims Frau mitgebracht», sagte sie.
«Sie hat dich schon immer gern kennenlernen wollen, aber sie und Maxim haben so viel vorgehabt.»
Beatrice stupste mich in den Rücken. «Gib ihr einen Kuß», flüsterte sie mir zu, und ich beugte mich also auch nieder und berührte die faltige Wange mit meinen Lippen.
Die Großmutter betastete mein Gesicht mit ihren Fingern. «Du liebes Kind, wie nett von dir, zu kommen», sagte sie. «Ich freue mich sehr, dich kennenzulernen. Aber wo hast du Maxim gelassen?»
«Maxim ist in London», sagte ich, «er kommt erst heute abend zurück.»
«Das nächste Mal mußt du ihn aber mitbringen», sagte sie. «Setz dich, mein Kind, hier in den Stuhl, wo ich dich sehen kann, und du, Bee, setz dich hier auf die andere Seite. Wie geht’s dem lieben Roger? Er ist ein ungezogener Junge, mich überhaupt nicht zu besuchen!»
«Im August wird er bestimmt einmal herüberkommen», rief Beatrice. «Er ist jetzt fertig mit Eton und soll in Oxford studieren.»
«Du meine Güte, dann ist er ja schon ein richtiger junger Mann; ich werde ihn bestimmt gar nicht wiedererkennen.»
«Er ist schon größer als Giles», berichtete Beatrice, und sie fuhr fort, ihrer Großmutter von Giles und Roger und ihren Pferden und Hunden zu erzählen. Die Pflegerin brachte ihr Strickzeug heraus und fing an, eifrig mit den Nadeln zu klappern. Dann wandte sie sich mit ihrem professionellen strahlenden Lächeln zu mir.
«Wie gefällt es Ihnen auf Manderley, Mrs. de Winter?»
«Sehr gut, danke», antwortete ich.
«Ja, es ist ein herrliches Fleckchen Erde, nicht wahr?» sagte sie, ohne eine Sekunde ihre Nadeln stillzuhalten. «Es ist natürlich gar nicht daran zu denken, daß wir wieder einmal hinüberfahren. Das würde ihr zuviel werden. Es ist wirklich schade. Ich habe unsere Ausflüge nach Manderley immer so genossen.»
«Sie müssen einmal allein zu uns kommen», sagte ich.
«Oh, danke schön, das würde ich zu gern einmal tun. Mr. de Winter geht es gut, nehme ich an?»
«Doch, danke, sehr gut.»
«Sie haben Ihre Hochzeitsreise in Italien gemacht, nicht wahr? Wir haben uns so über die hübsche Postkarte gefreut, die Mr. de Winter uns geschickt hat.»
Ich konnte nicht genau feststellen, ob sie das «wir» als Pluralis majestatis benutzte oder ob sie die alte Dame mit sich selbst als eine Person betrachtete.
«Ach, hat er eine Karte geschickt? Ich erinnere mich gar nicht.»
«Doch ja, es war ein richtiges Ereignis. Wir freuen uns sehr über so etwas. Wir haben nämlich ein Album, da kleben wir alle Familienandenken hinein. Natürlich nichts Unerfreuliches.»
«Wie reizend», sagte ich.
Ich erhaschte einzelne Brocken von Beatrices Unterhaltung auf der anderen Seite. «Wir mußten den alten Marksman erschießen», hörte ich sie sagen. «Erinnerst du dich noch an den alten Marksman? Das beste Jagdpferd, das ich je gehabt habe.»
«Ach nein, doch nicht unseren alten Marksman?» fragte die Großmutter.
«Ja, ja, der arme alte Kerl; er erblindete auf beiden Augen.»
«Der arme Kerl!» wiederholte die alte Dame.
Ich fand es nicht gerade sehr taktvoll, von Blindheit zu sprechen, und warf einen Blick auf die Pflegerin. Sie war immer noch mit ihren klappernden Nadeln beschäftigt.
«Reiten Sie auch Fuchsjagden, Mrs. de Winter?» erkundigte sie sich.
«Nein, leider. Ich habe es noch nie getan», sagte ich.
«Vielleicht kommen Sie noch auf den Geschmack. Unsere Nachbarn hier sind alle leidenschaftliche Jagdreiter.»
«Ja.»
«Mrs. de Winter ist eine große Malfreundin», teilte Beatrice der Pflegerin mit. «Ich habe ihr schon gesagt, daß sie auf Manderley haufenweise nette Motive zum Zeichnen finden
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