Rebecka Martinsson 01 - Sonnensturm
frischbekehrten Jugendlichen war hinter ihm hergewatschelt und hatte ihn als ihren geistlichen Vater betrachtet. Einer dieser Jugendlichen war Viktor Strandgård.
Sie, Gunnar, Vesa Larsson und dessen Frau Astrid wurden eingeladen, an der Freudenfeier der Taufe teilzunehmen. Gunnar schluckte seinen bitteren Neid hinunter und ging hin. Er war gern bereit, sich zu den Siegern zu gesellen. Zugleich trat er damit in einen ewigen Wettkampf. Und wollte selbst ebenfalls glänzen. Sein Blick nahm eine Spur von Schläue an.
Sie selbst war nicht ohne Schuld. Schließlich hatte sie ihren Mann tausend Mal ermahnt: »Lass dich von Thomas nicht überfahren. Der kann schließlich nicht alles bestimmen.«
Sie hatte sich eingeredet, dass sie ihren Mann unterstützte. Aber wünschte sie sich im Grunde nicht eher, er wäre ein anderer?
Jetzt stand Thomas Söderberg auf und ging nach vorn zum Gospelchor. Er trug einen schwarzen Anzug. Normalerweise waren seine Krawatten bunt, fast schon grell. An diesem Abend trug er eine diskrete graue. Wie ein umgekehrtes Ausrufezeichen unter seinem Sakko.
Er trägt seinen Reichtum ebenso unbeschwert wie früher seine … na ja, Armut ist nicht das richtige Wort, dachte sie. Wie seinen Geldmangel. Zwei Personen, die von einem Pastorengehalt leben mussten. Aber das schien ihnen niemals etwas ausgemacht zu haben. Nicht einmal, als dann die Kinder gekommen waren.
Danach war ja alles anders geworden. Und jetzt stand er hier in seinem eleganten Anzug aus Wollstoff und unterhielt sich mit den Chormitgliedern. Sagte, das mit Viktor sei wirklich entsetzlich. Ein Mädchen brach in lautes Schluchzen aus. Die ihr am nächsten Stehenden legten die Arme um sie.
Weinen sei schon gut und richtig, sagte Thomas. Trauer sei notwendig. Aber, und hier holte er tief Atem und machte zwischen jedem Wort eine kurze Pause, deshalb dürfe niemand den Mut verlieren. Sie dürften nicht resignieren. Sie dürften sich nicht geschlagen geben.
Den Rest mochte sie sich nicht mehr anhören. Sie wusste ja ungefähr, was jetzt noch kommen würde.
»Hallo, Karin. Wo steckt denn Gunnar?«
Maja, Thomas Söderbergs Frau, setzte sich neben sie. Lange, glänzende, sandfarbene Haare. Ein wenig diskretes Make-up. Kein Lippenstift. Kein Lidschatten. Nur ein wenig Wimperntusche und Rouge. Nicht, dass Thomas etwas dagegen gehabt hätte, dass Frauen sich schminkten, aber Karin konnte sich schon vorstellen, dass er bei seiner eigenen Frau lieber darauf verzichten wollte. Einige Jahre zuvor hatte Maja sich die Haare kurz schneiden lassen wollen, aber da hatte Thomas energisch Widerspruch eingelegt.
»Er war eben noch hier. Kommt sicher gleich wieder.«
Maja nickte.
»Und wo stecken Vesa und Astrid?«, fragte sie.
An diesem Abend war offenbar strikte Anwesenheitskontrolle angesagt. Karin hob die Augenbrauen und schüttelte als Antwort den Kopf.
»Es ist doch ungeheuer wichtig, dass jetzt alle zusammenhalten«, sagte Maja halblaut.
Karin schaute die rote Rose auf Majas Knie an.
»Willst du die zu den anderen legen?«
Maja nickte.
»Aber ich warte, bis die Andacht angefangen hat. Ich kann das alles einfach nicht fassen. Es ist so unwirklich.«
Ja, es ist unwirklich, dachte Karin. Wie soll das ohne Viktor denn bloß weitergehen?
Viktor, der sich geweigert hatte, sich die Haare schneiden zu lassen und einen Anzug zu tragen. Der eine Lohnerhöhung abgelehnt und Thomas dazu überredet hatte, das Geld lieber an »Ärzte ohne Grenzen« zu überweisen. Ihr fiel ein, wie sie vor sieben Jahren zu einer Tagung nach Stockholm gefahren war. Wie überrascht sie gewesen war, als dort eine Menge junger Männer herumlief, die genauso aussahen wie Viktor. In der U-Bahn und in Lokalen. Scheußliche gestrickte oder gehäkelte Mützen. Schultertaschen aus weichem Stoff. Fransenjacken aus den 6oer Jahren. Dieser langsame, lässige Gang. Eine Art Antimode, die den Schönen und Selbstsicheren vorbehalten war.
Viktor hatte dem Kreis um Thomas Söderberg angehört, war aber nie zu Thomas’ Abbild geworden. Sondern eher zu seinem Gegenbild. Besitzlos und ohne Ehrgeiz. Enthaltsam. Wobei Letzteres ja daran liegen konnte, dass die törichte Rebecka Martinsson ihn verschmäht hatte. Wer konnte das schon wissen?
Jetzt beugte Maja sich zu ihr herüber. Sie fauchte ihr ins Ohr:
»Aha, da kommt Astrid. Aber wo steckt Vesa?«
Pastor Vesa Larssons Frau Astrid durchquerte den Eingang zur Kristallkirche. Bei der Bühne betete Thomas Söderberg vor der
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