Rebecka Martinsson 01 - Sonnensturm
Begabung zum Menschenfischer. Aber auch dieser Aufstieg hatte ja ein gewisses Talent erfordert.
Sie dachte an damals, als Gunnar ihr erzählt hatte, dass es bei der Missionskirche einen neuen Pastor gebe. Ein neues Pastorenpaar.
Ungefähr eine Woche später hatte Thomas Söderberg einen Gottesdienst in der Baptistenkirche besucht. Hatte in der zweiten Reihe gesessen und bei Gunnars Predigt zustimmend genickt. Aufmunternd gelächelt. Seine Frau Maja hatte wie eine Musterschülerin neben ihm gesessen.
Danach waren sie zum Kaffee geblieben. Graues Winterdunkel draußen vor den Fenstern. Schneeschwere Wolken. Ein Tag, der floh, noch ehe er richtig angefangen hatte.
Maja redete laut und langsam in Arvid Kallas Ohr. Bat Edit Svonni um das Rezept für ihre Zuckerkringel.
Thomas Söderberg und Gunnar waren in ein eifriges Gespräch mit zwei Brüdern von der Gemeindeleitung vertieft. Sie wechselten zwischen ernsthaftem Kopfnicken und herzhaftem Lachen ab wie bei einem eingeübten Tanz. Verbrüderung.
Und die obligatorische Frage an die Zugezogenen aus dem Süden: Wie gefällt es euch denn hier? In Kälte und Finsternis? Die Antwort kam von beiden gleichzeitig: Sehr gut. Sie hatten durchaus kein Heimweh nach Schneematsch und Regen. Das nächste Weihnachtsfest wollten sie in Kiruna feiern.
Allein das. Dass sie nicht das Gefühl hatten, an einen abgelegenen Ort hinter der Grenze des Erträglichen strafversetzt worden zu sein. Kein Gejammer und keine Klagen über beißenden Wind und Dunkelheit, die das Gemüt verdüstert. Diese Antwort zauberte ein Lächeln auf die Gesichter der Gemeinde.
Als sie gegangen waren, sagte Gunnar zu ihr: »Nette Leute. Und er hat viele Ideen, dieser Knabe.«
Damals hatte er den zehn Jahre jüngeren Thomas zum letzten Mal als Knaben bezeichnet.
Zwei Wochen darauf begegnete ihr Thomas Söderberg in der Stadt. Sie schob den Kinderwagen durch den eisigen Wind. Andreas war eineinhalb und schlief nur im Wagen. Also schob sie ihn auf Kirunas Straßen hin und her. Anna, die Dreijährige, hing wie ein jammerndes Bündel an ihrer Hand. Sie fror an Händen und Füßen.
Sie fühlte sich nur noch elend. Die Müdigkeit erfüllte sie wie ein grauer, gärender Teig. Sie konnte jeden Moment bersten und untergehen. Sie hasste Gunnar. Verlor immer wieder die Geduld mit Anna. Wollte nur noch weinen.
Thomas kam hinter ihr her. Legte ihr die linke Hand auf die linke Schulter. Und holte sie gleichzeitig ein. In einer Sekunde, ehe er neben sie trat, hatte er den Arm um sie gelegt. Eine halbe Umarmung, die einen Sekundenbruchteil zu lange dauerte. Als sie ihn ansah, lächelte er strahlend. Begrüßte sie wie eine alte Freundin. Begrüßte auch Anna, die sich an den Beinen ihrer Mutter festklammerte und den Gruß nicht erwidern wollte. Betrachtete Andreas mit einem Blick, als habe er einen kleinen Engel vor sich.
»Ich versuche, Maja dazu zu überreden, dass wir Kinder bekommen«, sagte er. »Aber …« Er beendete diesen Satz nicht. Holte tief Atem und ließ sein Lächeln verfliegen. Dann fand er seine gute Laune wieder. »Und ich kann sie ja auch verstehen«, sagte er. »Schließlich habt ihr die schwerere Last zu tragen. Also warten wir ab.«
Andreas bewegte sich im Wagen. Es war Zeit, zum Stillen nach Hause zu gehen. Sie hätte Thomas gern zum Mittagessen eingeladen, doch sie wagte nicht, ihn zu fragen. Er begleitete sie ein Stück. Das Reden fiel ihnen so leicht. Immer wieder tauchten neue Gesprächsthemen auf und hakten sich an den alten fest wie die Glieder einer Kette. Am Ende standen sie an der Ecke, wo ihre Wege sich trennen mussten.
»Ich würde gern mehr für Gott tun«, sagte sie. »Aber die Kinder. Die nehmen mir alle Kraft und noch mehr.«
Der Schnee umwirbelte sie wie ein Schwarm aus spitzen Pfeilen. Brachte ihn dazu, die Augen zusammenzukneifen. Ein dunkellockiger Erzengel in einer blauen Daunenjacke aus einem knisternden, billig aussehenden Stoff. Die Jeans war in seine Stiefel gestopft. Er trug eine selbstgestrickte Mütze mit Inkamuster. Sie hätte gern gewusst, ob Maja so gut stricken konnte. Maja, die keine Kinder wollte.
»Aber Karin«, sagte er. »Begreifst du nicht, dass du genau das tust, was Gott von dir will? Du kümmerst dich um die Kinder. Das ist im Moment das Allerwichtigste. Er hat Seine Pläne mit dir. Aber gerade jetzt … gerade jetzt musst du bei Anna und Andreas sein.«
Ein halbes Jahr darauf hatte er seine erste Sommerkirche abgehalten. Eine kleine Entenschar aus
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