Rebecka Martinsson 01 - Sonnensturm
Liebkosungen ihrer Haare oder ihrer Hand nicht erwidern darf. Sie zwingt sich dazu, stillzusitzen und das Ziel seiner unerwiderten Sehnsüchte zu spielen. Sie geht nicht unbelohnt aus diesem Spiel hervor. Viktors Bewunderinnen räumen ihr unter den Mädchen in der Gruppe einen hohen Status ein. Sie hat die anderen ausgestochen, und das verdient Respekt.
Während der Bibelstudien kommt es anfangs zwischen Thomas und den anderen zu Meinungsverschiedenheiten. Die jungen Leute können vieles nicht verstehen. Warum ist Homosexualität eine Sünde? Wieso kann der christliche Glaube der einzig wahre sein? Was wird zum Beispiel aus den Muslimen, enden die alle in der Hölle? Warum darf man vor der Ehe keinen Sex haben?
Thomas hört zu und erklärt. Man muss sich entscheiden, sagt er. Entweder glaubt man an die ganze Bibel, oder man sucht sich einzelne Stellen heraus und glaubt die dann, aber was wäre das für ein Glaube? Der wäre doch verwässert und ohne Biss.
In den hellen Sommernächten sitzen sie auf dem Steg am See und zerquetschen die Mücken, die auf ihren Armen und Beinen landen. Sie diskutieren und grübeln. Sanna fühlt sich sicher mit ihrem Gott. Rebecka hat das Gefühl, in einem reißenden Fluss zu stehen.
» Deshalb bist du berufen worden « , sagt Sanna. » Er will dich. Wenn du jetzt nicht ja sagst, bist du vielleicht für immer verloren. Du kannst deine Entscheidung nicht auf die Zukunft verlagern, denn vielleicht wirst du nie wieder Sehnsucht verspüren. «
Am Ende der drei Wochen haben sich bis auf zwei alle Teilnehmer Gott überantwortet. Zu den frisch Bekehrten gehören auch Viktor und Rebecka.
» Und was ist mit dir und Viktor? « , fragt Thomas Rebecka, als das Sommerlager schon fast zu Ende ist. » Was läuft denn zwischen euch? «
Er und Rebecka spazieren zusammen zum Dorfladen, um Milch zu kaufen. Rebecka nimmt den Geruch von warmem, staubigem Asphalt in sich auf. Sie freut sich darüber, dass Thomas ihr Gesellschaft leisten will. » Vielleicht interessiert er sich für mich, aber in meinem Leben gibt es im Moment nur Platz für Gott. Ich will mich erst einmal hundertprozentig auf ihn konzentrieren. «
Im Vorübergehen zieht sie an einem dünnen Birkenzweig. Die zarten grünen Blätter duften nach glücklichem Sommer. Sie schiebt sich ein Blatt in den Mund und kaut darauf herum.
Thomas schnappt sich auch ein Blatt und steckt es in den Mund. Er lacht.
» Du bist ein kluges Mädchen, Rebecka. Gott hat große Pläne mit dir, das weiß ich. Es ist eine herrliche Zeit, wenn man frisch verliebt in Gott ist. Gut, dass du diese Zeit genießen willst. «
Sie hörte Sannas Stimme, zuerst aus weiter Ferne, dann aus der Nähe. Sannas Hand auf ihrem Oberarm.
»Sieh mal«, jammerte Sanna. »O nein!«
Sie hatten die Wache erreicht. Rebecka hatte den Motor schon ausgeschaltet. Zuerst sah sie nicht, worauf Sanna zeigte. Dann entdeckte sie die Reporterin, die mit hocherhobenem Mikrofon auf sie zugestürzt kam. Hinter der Reporterin stand ein Mann. Er zückte seine Filmkamera wie eine schwarze Waffe.
IN DER KRISTALLKIRCHE saß die Frau von Pastor Isaksson mit halb geschlossenen Augen da und schien zu beten. In einer Stunde sollte die Abendandacht beginnen. Vorn auf der Bühne stimmte der Gospelchor sich ein. Dreißig junge Frauen und Männer. Schwarze Hosen. Lila Sweatshirts mit einer Explosion aus Gelb und Orange und dem Aufdruck »Joy«.
Zuerst war sie in diese Kirche fast schmerzlich verliebt gewesen. In die göttliche Akustik. Wie jetzt. Gedehnte Vokale, die sich zur Decke hochwanden und danach einer nur für die Bässe erreichbaren Tiefe zustrebten. Das warme Licht. Die Polarnacht vor den riesigen Fenstern. Eine Blase aus Gotteskraft in der Umarmung von Dunkelheit und Kälte.
E-Gitarre und Bass wurden gestimmt. Mit leisem Klicken schaltete der Beleuchter die auf die Bühne gerichteten Scheinwerfer an. Die Tontechniker ließen ein widerspenstiges Mikrofon aufdröhnen. Sie sprachen hinein, aber nichts war zu hören, und dann stieß das Mikrofon plötzlich ein schrilles Piepsen aus.
Ihre Arme juckten. Am Morgen waren sie geschwollen und rot gewesen. Sie fragte sich, ob eine Schuppenflechte daran schuld sein konnte. Wenn nur Gunnar nichts merkte. Sie wollte nicht, dass er für sie betete.
Sie hatten die Möbel in der Kirche anders gestellt. Die Stühle umgaben nun die Stelle, an der Viktor gelegen hatte. Es sah aus wie in einem Zirkus. Sie musterte ihren Mann, der in der ersten
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