Rebecka Martinsson 01 - Sonnensturm
Seite auf die andere, um den Stimmen und Gesichtern des Vortags zu entgehen, die sich in ihren Traum eingeschlichen haben. In ihrem Bauch strampelt wütend das Kind.
Im Traum beugt Staatsanwalt Carl von Post sein Gesicht über Sanna Strandgård und versucht, ihr Antworten abzuzwingen, die sie nicht geben kann. Er bedrängt sie und droht, ihre Töchter zur Vernehmung zu holen, wenn sie weiterhin schweigt. Und je mehr er fragt, umso mehr verschließt sie sich. Am Ende scheint sie sich an gar nichts mehr erinnern zu können.
»Was wolltest du mitten in der Nacht in der Kirche? Warum bist du überhaupt hingegangen? An irgendetwas musst du dich ja wohl erinnern. Hast du dort irgendwen gesehen? Weißt du noch, dass du die Polizei angerufen hast? Warst du wütend auf deinen Bruder?«
Sanna schlägt die Hände vors Gesicht.
»Ich weiß es nicht mehr. Ich weiß es nicht. Er kam in der Nacht zu mir. Plötzlich stand Viktor an meinem Bett. Er sah traurig aus. Als er sich dann einfach auflöste, wusste ich, dass etwas passiert war …«
»Er löste sich auf?«
Der Staatsanwalt scheint nicht zu wissen, ob er lachen oder ihr eine scheuern soll.
»Moment mal, du hattest Besuch von einem Gespenst und wusstest dadurch, dass deinem Bruder etwas passiert war?«
Anna-Maria jammert, und Robert erwacht. Er stützt sich auf die Ellenbogen und streichelt ihre Haare.
»Psst, Mia-Mia, ganz ruhig.« Wieder und wieder sagt er ihren Namen und streichelt ihre strohblonden Haare, bis sie dann plötzlich nach Luft schnappt und sich entspannt. Ihr Gesicht wird weicher, und ihr Gejammer verstummt. Als ihr Atem wieder ruhig und regelmäßig geht, schläft er wieder ein.
Alle, die Carl von Post kennen, glauben sicher, dass er in dieser Nacht gut schläft. Dass er sich an Aufmerksamkeit und goldenen Träumen über die Verheißungen der Zukunft satt gegessen hat. Er müsste doch eigentlich mit zufriedenem Lächeln eingeschlafen sein.
Aber auch Carl von Post wälzt sich von einer Seite auf die andere. Er presst die Kiefer so fest aufeinander, dass er heftig mit den Zähnen knirscht. So ist es immer, wenn er schläft. Die Ereignisse des Tages haben ihm da absolut keine Erleichterung gebracht.
Und Rebecka Martinsson? Sie schläft tief auf dem Ausziehsofa in der Küche ihrer Großeltern. Sie atmet ruhig und regelmäßig. Tjapp hat sich freundlich neben sie gelegt, und Rebecka hat die Arme um den warmen Hundekörper geschlungen und bohrt die Nase in das schwarze wollige Fell. Kein Geräusch aus der Außenwelt dringt zu ihr durch. Keine Autos und keine Flugzeuge. Keine lauten Nachtwanderer und kein harter Winterregen, der gegen die Fensterscheiben schlägt. In der Kammer murmelt Lova im Schlaf und drückt sich fester an Sanna. Das Haus selbst knackt und ächzt ein wenig, es scheint sich in seinem Winterschlaf umzudrehen.
Dienstag, 18. Februar
KURZ VOR SECHS weckte Tjapp Rebecka, indem sie ihre Hundenase gegen Rebeckas Gesicht drückte.
»Hallo, Wuschel«, flüsterte Rebecka. »Was willst du? Ist es schon Zeit zum Pinkeln?«
Sie tastete nach der Lampe und schaltete sie ein. Der Hund lief zur Haustür, fiepte kurz, kam zu Rebecka zurück und drückte abermals auffordernd das Gesicht gegen Rebeckas.
»Schon verstanden, alles klar.«
Rebecka setzte sich auf die Bettkante, blieb aber weiterhin in die Decke gewickelt. Es war kalt in der Küche.
Alles hier drinnen ist Oma, dachte sie. Es ist wie früher, wenn ich mit ihr zusammen auf dem Küchensofa übernachtet habe und dann im warmen Bett liegen bleiben durfte, während sie im Herd Feuer machte und Kaffeewasser aufsetzte.
Sie sah Theresia Martinsson vor sich, die am Ausklapptisch saß und ihre Morgenzigarette drehte. Die Großmutter nahm dazu Zeitungspapier, statt sich teure Blättchen zu kaufen. Sorgfältig riss sie von der Vortagsausgabe des Bottenkuriers den Rand ab. Der war breit und frei von Druckerschwärze und damit für diesen Zweck bestens geeignet. Sie ließ eine Prise Tabak darüber rieseln und drehte dann mit Daumen und Zeigefinger eine dünne Zigarette. Ihre silbergrauen Haare waren sorgfältig unter ihr Kopftuch gesteckt, und sie trug ihre synthetische blauschwarzkarierte Kittelschürze. Draußen in der Scheune brüllten die Kühe nach ihr. »Hallo Pikku-Piika«, sagte sie dann immer und lächelte. »Bist du schon wach?«
Pikku-Piika. Kleines Mädchen.
Tjapp kläffte ungeduldig.
»Ja, ja, gleich«, antwortete Rebecka. »Ich muss nur noch schnell Feuer machen.«
Sie
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