Rebecka Martinsson 01 - Sonnensturm
seine Schuhe auszuziehen.
Anna-Maria registrierte, dass Olof Strandgård blankgeputzte Hausschuhe trug.
Er führte sie ins Wohnzimmer. Die eine Seite dieses Raums wurde von einer Sitzgruppe in gustavianischem Stil dominiert. Silberleuchter und eine Vase von Ulrika Hydman-Vallien spiegelten sich im dunklen Mahagonilaminat der Tischplatte. Unter der Decke hing ein kleiner, frischgeputzter Kronleuchter aus Kristall. Auf der anderen Seite des Wohnzimmers stand eine Sitzgruppe aus einem weichen, hellen, ledernen Ecksofa und einem dazu passenden Sessel. Der Tisch war aus rauchfarbenem Glas und hatte Metallbeine. Alles wirkte sauber, gepflegt und ordentlich.
In dem Sessel saß die in sich zusammengesunkene Kristina Strandgård. Zerstreut begrüßte sie die beiden Gäste, die da in ihrem Wohnzimmer aufgetaucht waren.
Sie hatte die gleichen dichten, weißblonden Haare wie ihre Kinder, aber Kristina Strandgård hatte ihre zu einer am Kinn endenden Pagenfrisur geschnitten.
Sie hat bestimmt früher einmal sehr gut ausgesehen, dachte Anna-Maria. Ehe die große Müdigkeit sie gepackt hat. Und das ist nicht erst gestern passiert, sondern schon vor langer Zeit.
Olof Strandgård beugte sich über seine Frau. Seine Stimme klang sanft, doch das Lächeln auf seinen Lippen erreichte seine Augen nicht.
»Wir sollten Frau Mella vielleicht den bequemen Sessel anbieten«, sagte er.
Kristina Strandgård sprang auf, als habe jemand sie mit einer Nadel gestochen.
»Ach, Verzeihung, natürlich.«
Sie lächelte Anna-Maria verlegen an und stand eine Sekunde lang so da, als habe sie vergessen, wo sie sich befand und was sie hier zu tun hatte. Danach schien sie plötzlich in die Gegenwart zurückzukehren, und sie ließ sich neben Sven-Erik auf das Sofa sinken.
Mühsam nahm Anna-Maria in dem ihr angebotenen Sessel Platz. Er war viel zu tief und im Rücken zu weich, um bequem zu sein. Sie verzog die Mundwinkel im Versuch eines dankbaren Lächelns. Das Kind drückte auf ihr Zwerchfell, und sofort stellten sich Sodbrennen und Rückenschmerzen ein.
»Kann ich Ihnen etwas anbieten?«, fragte Olof Strandgård.
»Kaffee? Tee? Wasser?«
Wie auf ein Stichwort hin sprang seine Frau wieder auf.
»Ja, sicher«, sagte sie mit einem raschen Blick auf ihren Mann.
»Ich hätte natürlich fragen müssen …«
Sven-Erik und Anna-Maria winkten abwehrend. Kristina Strandgård setzte sich wieder, diesmal jedoch auf die Sofakante, um sofort auf die Beine zu kommen, falls noch etwas sein sollte.
Anna-Maria betrachtete sie. Sie sah nicht aus wie eine Frau, die eben erst ein Kind verloren hat. Ihre Haare waren frisch gewaschen und gefönt. Polohemd, Strickjacke und Hose waren in aufeinander abgestimmten Tönen von Beige und Sand gehalten. Ihre Augen und ihr Mund waren geschminkt. Sie rang durchaus nicht verzweifelt die Hände. Auf dem Tisch vor ihr lagen keine zerknüllten Taschentücher. Stattdessen schien sie ihre Umgebung auszusperren.
Nein, das stimmt nicht, dachte Anna-Maria und fühlte sich plötzlich gar nicht wohl in ihrer Haut. Sie sperrt die Umgebung nicht aus. Sie sperrt sich selber ein.
»Wir wissen es wirklich zu schätzen, dass Sie sofort gekommen sind«, sagte Olof Strandgård. »Wir haben erst vorhin erfahren, dass Sie Sanna festgenommen haben. Ihnen ist doch sicher klar, dass es sich um ein Missverständnis handelt? Wir machen uns große Sorge, meine Frau und ich.«
»Natürlich«, sagte Sven-Erik. »Aber vielleicht sollten wir die Dinge der Reihe nach durchgehen. Wenn wir Ihnen zuerst einige Fragen über Viktor stellen dürfen, können wir danach über Ihre Tochter sprechen.«
»Natürlich«, sagte Olof Strandgård lächelnd.
Gut, Sven-Erik, dachte Anna-Maria. Ergreif jetzt die Initiative, sonst ist dieser Besuch zu Ende, ehe wir überhaupt irgendeine Antwort bekommen haben.
»Können Sie uns etwas über Viktor erzählen?«, sagte Sven-Erik. »Was war er für ein Mensch?«
»In welcher Hinsicht kann diese Information Ihnen bei der Arbeit helfen?«, fragte Olof Strandgård.
»Das ist eine Frage, die immer gestellt wird«, sagte Sven-Erik, ohne sich provozieren zu lassen. »Wir müssen versuchen, uns ein Bild von ihm zu machen, da wir ihn zu seinen Lebzeiten nicht gekannt haben.«
»Er war begabt«, sagte sein Vater ernst. »Sehr begabt. Ich nehme an, das sagen alle Eltern über ihre Kinder, aber fragen Sie seine alten Lehrer, die werden es Ihnen bestätigen. Er hatte in allen Fächern hervorragende Noten und war ungeheuer
Weitere Kostenlose Bücher