Rebecka Martinsson 01 - Sonnensturm
musikalisch. Er konnte sich konzentrieren. Auf die Schule. Auf die Gitarrenstunden. Und nach dem Unfall konzentrierte er sich zu hundert Prozent auf Gott.«
Er ließ sich auf dem Sofa zurücksinken und zupfte kurz am rechten Hosenbein, ehe er das Bein über das linke schwang.
»Es war keine leichte Berufung, die Gott dem Jungen auferlegt hat«, sagte er dann. »Er gab alles andere auf. Ging vom Gymnasium ab und machte keine Musik mehr. Er verkündete und betete. Und er brannte in seiner Überzeugung, dass die Erweckung nach Kiruna kommen würde, aber er war auch davon überzeugt, dass das nur passieren würde, wenn alle Freikirchen sich zusammenschlössen. Gemeinsam sind wir unschlagbar, allein kommen wir zu Fall, wie es heißt. Damals gab es jedoch keinerlei Kontakt zwischen Pfingstkirche, Missionskirche und Baptistenkirche, aber Viktor ließ sich nicht beirren. Er war erst siebzehn Jahre alt, als er berufen wurde. Er hat die Pastoren fast dazu gezwungen, sich zu treffen und gemeinsam zu beten, Thomas Söderberg von der Missionskirche, Vesa Larsson von der Pfingstkirche und Gunnar Isaksson von der Baptistenkirche.«
Anna-Maria rutschte in ihrem Sessel hin und her. Sie saß unbequem, und das Kind schien auf ihre Blase einzuschlagen.
»Er wurde nach seinem Unfall berufen?«, fragte sie.
»Ja. Der Junge war im Winter mit dem Fahrrad unterwegs und wurde überfahren. Tja, Sie kommen ja aus Kiruna, den Rest wissen Sie also. Die Gemeinde wurde immer größer, und wir konnten die Kristallkirche bauen. Die ist ja ebenso bekannt wie der Junge selber. Im Dezember hat Carola dort ein Weihnachtskonzert gegeben.«
»Wie war Ihre Beziehung zueinander?«, fragte Sven-Erik.
»Haben Sie einander nahe gestanden?«
Anna-Maria sah, wie Sven-Erik sich abmühte, um mit seinen Fragen Kristina Strandgård zu erreichen, doch deren dumpfer Blick klebte am Medaillonmuster der Tapeten.
»In dieser Familie stehen alle einander sehr nahe«, sagte Olof Strandgård.
»Hatte er außerhalb der Kirche Freunde oder Interessen?«
»Nein, wie schon gesagt, er wollte bis auf weiteres alles andere aufgeben und nur für Gott tätig sein.«
»Aber hat Sie das denn nicht beunruhigt? Ich meine, dass er Mädchen und Hobbys aufgegeben hat?«
»Nein, das nun wirklich nicht.«
Der Vater lachte, als habe Sven-Erik da einen köstlichen Witz gemacht.
»Wer waren seine engsten Freunde?«
Sven-Erik sah die Fotos an den Wänden an. Über dem Fernseher hing ein großes Foto von Sanna und Viktor. Zwei Kinder mit langen silberblonden Haaren. Sanna hatte Engelslocken, Viktors waren glatt wie ein Wasserfall. Sanna war vielleicht dreizehn. Man konnte sehen, dass sie nicht in die Kamera lächeln wollte. Ihre nach unten gezogenen Mundwinkel zeugten von Trotz. Viktor war ebenfalls ernst, wirkte aber natürlicher.
Als denke er an etwas anderes und habe vergessen, wo er sich befand.
»Sanna war damals dreizehn und der Junge zehn«, sagte Olof, der Sven-Eriks Blick gefolgt war. »Man sieht sieht deutlich, wie sehr er seine Schwester bewunderte. Er wollte auch so lange Haare haben, schon als kleiner Junge, und er schrie wie am Spieß, wenn seine Mutter zur Schere griff. Anfangs wurde er deshalb in der Schule aufgezogen, aber er bestand auf seinen langen Haaren.«
»Seine Freunde?«, mahnte Anna-Maria.
»Ich möchte ja glauben, dass das seine Familie war. Er stand uns und Sanna sehr nah. Und er betete die Mädchen geradezu an.«
»Sannas Töchter?«
»Ja.«
»Frau Strandgård«, sagte Sven-Erik.
Kristina Strandgård zuckte zusammen.
»Würden Sie gern etwas sagen? Über Viktor«, fügte er zur Erklärung hinzu, als sie ihn fragend ansah.
»Was soll ich sagen«, meinte sie unsicher und mit einem Seitenblick auf ihren Mann. »Ich habe wohl nichts hinzuzufügen. Olof hat ihn sehr gut beschrieben, finde ich.«
»Haben Sie irgendein Album mit Berichten über Viktor?«, fragte Anna-Maria. »Ich meine, er wurde in den Zeitungen doch häufig erwähnt.«
»Da«, sagte Kristina Strandgård und streckte die Hand aus.
»Das große braune Album ganz unten im Regal.«
»Kann ich das mal ausleihen?«, fragte Anna-Maria, erhob sich und zog das Album aus dem Regal. »Sie bekommen es so schnell wie möglich zurück.«
Sie behielt das Album eine Weile in der Hand, dann legte sie es vor sich auf den Tisch. Sie wollte gern andere Bilder von Viktor im Kopf haben können als das des weißen, geschundenen Körpers mit den leeren Augenhöhlen.
»Wir möchten Sie bitten, uns
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