Rebecka Martinsson 01 - Sonnensturm
schweinekalt. Eine Vierjährige mit doppelseitiger Lungenentzündung wäre das Letzte, was ich jetzt brauchen kann. Bis dann.«
Sie beendete das Gespräch, ehe er noch mehr sagen konnte.
Er hat es mir nicht verboten, dachte sie erleichtert. Er hat mir nicht verboten, weiterzumachen, und gefeuert hat er mich auch nicht. Wieso ist das so leicht gegangen?
Dann fielen ihr die Kinder ein, und sie sprang aus dem Auto.
»Was macht ihr denn da?«, schrie sie Sara und Lova an.
Lova hatte Jacke, Handschuhe und ihre beiden Pullover ausgezogen. Sie stand mit der Mütze auf dem Kopf und ansonsten nur mit einem weißen Hemdchen bekleidet im Schnee. Die Tränen strömten ihr übers Gesicht. Tjapp musterte sie besorgt.
»Sara hat gesagt, dass ich in deinem Pullover so blöd aussehe«, weinte Lova. »Und dass die mich im Kindergarten damit auslachen werden.«
»Zieh dich sofort wieder an«, befahl Rebecka ungeduldig.
Sie packte Lovas Arm und zwang ihr den Pullover wieder auf. Die Kleine weinte untröstlich.
»Das stimmt doch«, sagte Sara erbarmungslos. »Sie sieht bescheuert aus. In der Schule hatte einmal eine so einen Pullover an. Die Jungs haben sie sich geschnappt und ihren Kopf ins Klo gedrückt und abgezogen, bis sie fast ertrunken wäre.«
»Ich will nicht!«, schrie Lova, während Rebecka sie weiter anzog.
»Los, ins Auto«, sagte Rebecka mit angespannter Stimme.
»Ihr müsst in den Kindergarten und in die Schule.«
»Du hast uns überhaupt nichts zu sagen«, schrie Sara. »Du bist nicht unsere Mama!«
»Wollen wir wetten?«, knurrte Rebecka und schob die beiden brüllenden Kinder auf den Rücksitz. Tjapp sprang hinterher und drehte sich auf dem Sitz ängstlich um sich selber.
»Und ich hab Hunger«, schluchzte Lova.
»Genau«, schrie Sara. »Wir haben kein Frühstück gekriegt, das ist doch eine Gemeinheit. Gib mir das Telefon, dann ruf ich Opa an.«
Sie schnappte sich Rebeckas Telefon.
»Verdammt noch mal, so nicht«, brüllte Rebecka und riss ihr das Telefon wieder weg.
Sie sprang aus dem Wagen und öffnete die hintere Tür.
»Raus!«, befahl sie, zog Sara und Lova aus dem Auto und stieß sie in den Schnee.
Die Kinder verstummten und starrten sie aus großen Augen an.
»Ihr habt Recht«, sagte Rebecka und versuchte, ihre Stimme zu beherrschen. »Ich bin nicht eure Mama. Aber Sanna hat mich gebeten, mich um euch zu kümmern, und da haben wir alle keine Wahl. Wir machen es so: Zuerst fahren wir zum Busbahnhof und frühstücken da. Ihr könnt euch was zu Essen aussuchen, weil es so ein schrecklicher Morgen war. Danach kaufen wir für Lova etwas Neues zum Anziehen. Und für Sanna auch. Ihr müsst mir helfen, etwas Schönes für sie auszusuchen. Und jetzt rein mit euch ins Auto.«
Sara schwieg und starrte ihre Füße an. Dann zuckte sie mit den Schultern und stieg ein. Lova folgte ihr, und die ältere Schwester half der jüngeren beim Anschnallen. Tjapp leckte einige salzige Tränen aus Lovas Gesicht.
Rebecka Martinsson ließ den Motor an und fuhr im Rückwärtsgang von Sannas Hofplatz.
Großer Gott, dachte sie zum ersten Mal seit vielen Jahren. Großer Gott, hilf mir!
DIE ROTEN KLINKERHÄUSER im Gasellvägen lagen ordentlich wie Legosteine am Straßenrand. Verschneite Hecken, Schneewehen und Küchengardinen, die die unteren Fensterhälften verdeckten, schützten vor unerwünschten Blicken.
Und das kann diese Familie wirklich brauchen, dachte Anna-Maria Mella, als sie und Sven-Erik Stålnacke vor dem Gasellvägen 35 aus dem Auto stiegen.
»Ja, hier spürt man doch so richtig die Blicke der Nachbarn im Nacken«, sagte Sven-Erik, als habe er ihre Gedanken gelesen. »Was glaubst du, was die Eltern von Sanna und Viktor Strandgård uns erzählen können?«
»Das werden wir ja sehen. Gestern wollten sie ja nichts mit uns zu tun haben, aber jetzt, wo sie wissen, dass ihre Tochter festgenommen worden ist, haben sie sofort angerufen und um unseren Besuch gebeten.«
Sie traten sich den Schnee von den Schuhen und drückten auf die Klingel.
Olof Strandgård öffnete die Tür. Er hörte sich höflich und redegewandt an, als er sie hereinbat. Er reichte ihnen die Hand und nahm ihnen die Mäntel ab. Er war über seine mittleren Jahre hinaus, doch ihm fehlte das sonst für ältere Männer typische Übergewicht.
Bestimmt hat er unten im Keller einen Heimtrainer und Gewichte, dachte Anna-Maria.
»Nein, nein, die können Sie doch anbehalten«, sagte Olof Strandgård zu Sven-Erik, der sich bückte, um
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