Rebecka Martinsson 01 - Sonnensturm
Minuten drängte sich eine Menschenmenge vor dem Altar. Einige lagen auf dem Boden. Andere standen mit erhobenen Händen wie wehende Grashalme da. Sie beteten, lachten und weinten.
»Was machen die da?«, fragte Anna-Maria Mella.
»Sie erliegen der Kraft des Geistes«, sagte Rebecka kurz.
»Singen, reden und tanzen im Geiste. Bald werden einige von ihnen Weissagungen ausstoßen. Und der Chor wird Lobgesänge anstimmen, um das alles zu untermalen.«
Im Hintergrund stimmte der Chor nun einen Lobgesang an, und immer noch strömten Menschen dazu. Viele tanzten wie im Rausch.
Die Kamera zeigte Viktor Strandgård oft in Großaufnahme. Er hielt in der einen Hand eine Bibel und betete für einen dicklichen Mann mit Krücken. Eine Frau stand hinter Viktor, legte ihm die Hände auf die Haare und betete ebenfalls. Wie, um alles mit Gottes Kraft zu erfüllen.
Jetzt trat Viktor ans Mikrofon und begann zu sprechen. Er fing an wie immer.
»Worüber wollen wir reden?«, fragte er die Gemeinde.
So machte er es immer. Im Gebet bereitete er sich vor. Danach konnte die Gemeinde entscheiden, worüber gesprochen wurde. Ein Großteil der Predigt war ein Dialog mit den Zuhörern. Auch das hatte zu seinem Ruhm beigetragen.
»Erzähl vom Himmel«, rief jemand aus der Zuhörerschar.
»Was soll ich über den Himmel erzählen?«, fragte Viktor mit müdem Lächeln. »Kauft mein Buch, da könnt ihr es lesen. Na los! Andere Themen!«
»Erzähl vom Erfolg!«, rief nun jemand.
»Erfolg«, sagte Viktor. »In Gottes Reich gibt es keine Abkürzungen zum Erfolg. Denkt an Ananias und Sapfeira! Und betet für mich. Betet für das, was meine Augen gesehen haben und sehen werden. Betet dafür, dass die Kraft weiterhin von Gott durch meine Hände strömt.«
»Was hat er da eben gesagt?«, fragte Anna-Maria. »Ana…«
Ungeduldig schüttelte sie den Kopf und fügte dann hinzu:
»Und Safira, wer ist das?«
»Ananias und Sapfeira. Die werden in der Apostelgeschichte erwähnt«, antwortete Rebecka, ohne den Fernsehschirm aus den Augen zu lassen. »Sie stahlen der ersten Gemeinde Geld, worauf Gott sie mit dem Tode bestrafte.«
»Meine Güte, ich dachte, Gott hätte nur im Alten Testament Leute zu Boden gestreckt.«
Rebecka schüttelte den Kopf.
Als Viktor gesprochen hatte, gingen die Fürbitten weiter. Ein Mann von Mitte zwanzig mit Kapuzenjacke und einer weichen, abgenutzten Jeans drängte sich zu Viktor Strandgård durch.
Das ist Patrick Mattsson, dachte Rebecka. Er ist also noch immer dabei.
Der Mann in der Kutte griff nach Viktors Händen, doch unmittelbar bevor die Kamera auf den Gospelchor schwenkte, sah Rebecka, wie Viktor zurückfuhr und seine Hände Patrick Mattssons Griff entzog.
Was ist das denn?, dachte sie. Was läuft zwischen den beiden ab?
Sie schielte zu Anna-Maria Mella hinüber. Aber die hatte sich gebückt und wühlte zwischen einer Menge von Videos, die in einem Karton auf dem Boden standen.
»Hier ist das Band von gestern Abend«, sagte Anna-Maria und hob den Kopf wieder über die Tischplatte. »Willst du mal reinschauen?«
Dieses am Abend nach dem Mord aufgenommene Video zeigte abermals Thomas Söderberg beim Predigen. Die Bretter unter seinen Füßen waren vom Blut bräunlich verfärbt und mit Rosen bedeckt.
Jetzt war die Stimmung ernst und aufgeheizt. Thomas Söderberg forderte die Gemeindemitglieder dazu auf, sich auf einen geistigen Krieg vorzubereiten.
»Mehr denn je brauchen wir jetzt die Wunderkonferenz«, rief er. »Satan soll nicht die Macht an sich reißen dürfen!«
Die Gemeinde antwortete mit Hallelujarufen.
»Das kann doch nicht wahr sein«, sagte Rebecka schockiert.
»Überlegt euch genau, wem ihr euer Vertrauen schenkt«, rief Thomas Söderberg. »Vergesst nicht: Wer nicht für mich ist, ist gegen mich.«
»Und dann hat er die Leute aufgefordert, nicht mit der Polizei zu sprechen«, sagte Rebecka nachdenklich. »Er will, dass die Gemeinde sich geschlossen zeigt.«
Anna-Maria schaute Rebecka überrascht an und dachte an die Kollegen, die tagsüber die Gemeindemitglieder zu Hause aufgesucht hatten. Immer wieder hatten sie darüber geklagt, dass es fast unmöglich gewesen war, die Menschen überhaupt zu einem Gespräch zu bewegen.
Während der Fürbitten wurde die Kollekte gehalten.
»Und wenn du nur einen Zehner geben wolltest, dann gib jetzt einen Hunderter!«, rief Pastor Gunnar Isaksson.
Auch Curt Bäckström meldete sich zu Wort.
»Worüber wollen wir sprechen?«, fragte er die Gemeinde,
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