Rebecka Martinsson 01 - Sonnensturm
verstummten und schauten hoch, als die Tür aufging und ein Polizeibeamter ins Zimmer schaute. Es war nicht der, der sie hergebracht hatte. Dieser hier war groß und breitschultrig und hatte militärisch kurzgeschorene Haare. Trotzdem kam er Rebecka vor wie ein verirrter kleiner Junge, als er da in der Türöffnung stand. Er lächelte Rebecka verlegen an und reichte Sanna dann eine kleine Papiertüte.
»Verzeihen Sie die Störung«, sagte er. »Aber ich hab gleich Feierabend, und ich … ja, ich dachte, Sie brauchten vielleicht etwas zu lesen. Und dann habe ich Ihnen noch eine Tüte Bonbons gekauft.«
Sanna lächelte ihn an. Es war ein offenes Lächeln, bei dem ihre Augen funkelten. Danach senkte sie den Blick eilig und schien verlegen zu sein. Ihre Wimpern warfen Schatten auf ihre Wangen.
»Ach, danke«, sagte sie. »Das ist aber lieb.«
»Das ist doch nicht der Rede wert«, sagte der Polizist und verlagerte sein Körpergewicht von einem Fuß auf den anderen.
»Aber ich dachte, dass Ihnen die Zeit hier vielleicht lang wird.«
Er schwieg eine Weile, doch als keine der jungen Frauen etwas sagte, fügte er hinzu:
»Ja, dann geh ich jetzt wohl mal.«
Als er gegangen war, schaute Sanna in die Tüte, die er ihr überreicht hatte.
»Du hast viel bessere Süßigkeiten gekauft«, sagte sie.
Rebecka seufzte verlegen.
»Du brauchst meine Bonbons nicht besser zu finden«, sagte sie.
»Tu ich aber trotzdem.«
NACH DEM BESUCH bei Sanna ging Rebecka zu Anna-Maria Mella. Anna-Maria saß im Besprechungsraum der Wache und verzehrte eine Banane so gierig, als wolle jemand sie ihr mit Gewalt entreißen. Vor ihr auf dem Tisch lagen drei Kerngehäuse von Äpfeln. In der hinteren Ecke des Zimmers stand ein Fernseher. Ein Video zeigte eine Abendandacht in der Kristallkirche. Als Rebecka das Zimmer betrat, begrüßte Anna-Maria sie freundlich. Wie eine alte Bekannte.
»Möchtest du einen Kaffee?«, fragte sie. »Ich habe welchen geholt, ich weiß gar nicht, warum. Sonst trinke ich jetzt eigentlich keinen, wegen …«
Eine auf ihren Bauch gerichtete Handbewegung beendete diesen Satz.
Rebecka blieb in der Tür stehen. In ihrem Körper erwachte die Vergangenheit zum Leben. Wurde durch die Gesichter auf dem flimmernden Bildschirm in Bewegung gesetzt. Sie streckte die Hand nach dem Türrahmen aus. Anna-Marias Stimme drang aus der Ferne zu ihr durch.
»Was ist los? Setz dich.«
Auf dem Bildschirm sprach Thomas Söderberg zu seiner Gemeinde. Rebecka ließ sich auf einen Stuhl sinken. Sie spürte Anna-Marias nachdenklichen Blick.
»Das ist die Andacht an dem Abend vor dem Mord«, sagte Anna-Maria. »Willst du ein bisschen mehr sehen?«
Rebecka nickte. Sie dachte, dass sie irgendeine Erklärung vorbringen müsste. Dass sie nichts gegessen habe, irgendetwas in der Art. Aber sie blieb stumm.
Hinter Thomas Söderberg stand abwartend der Gospelchor. Einige feuerten ihn während seiner Predigt an. Seine Botschaft wurde vom »Halleluja« und »Amen« der Gemeinde untermalt.
Er hat sich verändert, dachte Rebecka. Früher trug er gestreifte Hemden mit Stehkragen, Jeans und eine Lederweste. Jetzt aber sieht er aus wie ein Börsenmakler, mit Anzug von Oscar Jacobsson und eleganter Brille. Und die Gemeinde besteht aus billigen H&M-Kopien dieses Erfolgskonzepts.
»Er ist ein guter Redner«, kommentierte Anna-Maria.
Thomas Söderberg wechselte immer wieder zwischen gelassenem Scherz und tiefem Ernst. Es ging darum, dass man sich den geistigen Gnadengaben öffnen müsse. Gegen Ende der kurzen Predigt forderte er alle Anwesenden auf, vorzutreten und sich vom Heiligen Geist füllen zu lassen.
»Tritt vor, dann werden wir für dich beten«, sagte er, und wie auf ein Stichwort standen Viktor Strandgård, die beiden anderen Pastoren der Kirche und einige Älteste Brüder neben ihm.
»Schabala schala amen«, rief Pastor Gunnar Isaksson. Er marschierte hin und her und schwenkte die Hände. »Trete vor, wer von Krankheit und Schmerzen gequält wird. Es ist nicht Gottes Wille, dass du in deiner Krankheit verharrst. Unter uns ist jemand, der an Migräne leidet. Der Herr sieht dich. Tritt vor. Der Herr sagt, dass eine Schwester hier Probleme mit einem Magengeschwür hat. Aber jetzt wird Gott deiner Qual ein Ende bereiten. Du brauchst keine Tabletten mehr. Der Herr hat die ätzende Säure in deinem Leib bereits neutralisiert. Tretet vor und nehmt die Gabe der Heilung entgegen. Halleluja!«
Sehr viele strömten nach vorn. Nach einigen
Weitere Kostenlose Bücher