Rebecka Martinsson 01 - Sonnensturm
wandte sie sich an Sara und fügte hinzu:
»Deshalb sagt sie so was. Ich verspreche euch, dass sie nicht ins Gefängnis kommt. Bald wird sie wieder bei euch zu Hause sein.«
Sie bereute das schon in der Sekunde, in der sie den Mund öffnete. Wie konnte sie nur so ein Versprechen abgeben, verdammt noch mal?
Als sie aufbrechen mussten, bat Rebecka die Mädchen, zum Auto zu gehen und dort auf sie zu warten. In ihrem unterdrückten Zorn knirschte sie mit den Zähnen.
»Wie kannst du nur«, fauchte sie. »Sie konnten einen Ausflug machen und baden und hatten ein paar schöne Stunden, aber du …«
Sie schüttelte den Kopf, weil sie die richtigen Worte nicht fand.
»Ich habe heute mit Maja, Magdalena und Vesa gesprochen. Ich weiß, dass mit Viktor irgendwas nicht gestimmt hat. Und du weißt, was das war. Na los, Sanna. Du musst es mir sagen.«
Sanna schwieg. Sie lehnte sich an die mintgrüne Betonwand und kaute auf einem bereits abgeknabberten Daumennagel herum. Ihr Gesicht war verschlossen.
»Jetzt erzähl schon, verdammt noch mal«, sagte Rebecka drohend. »Was war mit Viktor los? Vesa sagt, dass er seine Schweigepflicht dir gegenüber nicht brechen darf.«
Sanna schwieg noch immer. Sie kaute und kaute auf ihrem Daumennagel herum. Biss in die Nagelhaut und riss einen Hautfetzen ab, so dass sie blutete. Rebecka brach unter ihrem Mantel der Schweiß aus. Sie hätte gern Sannas Haare gepackt und ihren Kopf gegen die Betonwand geschlagen. Ungefähr wie Ronny Björnström, Saras Vater, das getan hatte. Bis er auch das schließlich sattgehabt und sich davongemacht hatte.
Die Mädchen warteten beim Auto. Rebecka fiel ein, dass Lova keine Handschuhe trug.
»Du miese Kuh«, sagte sie am Ende, machte auf dem Absatz kehrt und ging.
Sanna ist nicht mehr in ihrer Zelle. Sie ist durch die Betondecke verschwunden. Hat sich zwischen Atomen und Molekülen durchgedrängt und ist in das Sternenall hinter den Schneewolken hinausgeglitten. Sie hat den Besuch bereits vergessen. Sie hat keine Kinder. Sie ist nur ein kleines Mädchen. Und Gott ist ihre große Mama, die sie unter den Armen fasst und ins Licht hebt, bis es im Bauch kitzelt. Aber sie lässt nicht los. Gott lässt ihr kleines Mädchen nicht los. Sanna braucht keine Angst zu haben. Sie wird nicht stürzen.
CURT BÄCKSTRÖM steht vor dem großen Spiegel im Wohnzimmer und mustert seinen nackten Körper. Das Licht überflutet ihn aus einer Anzahl kleiner Lampen, die er mit roten durchscheinenden Tüchern verhängt hat, und durch vielleicht zwanzig brennende Kerzen. Er hat mit Heftzwecken schwarze Laken vor den Fenstern befestigt, so dass niemand zu ihm hereinblicken kann.
Das Zimmer ist überaus spärlich möbliert. In der Wohnung gibt es keinen Fernseher, kein Radio und keinen Mikrowellenherd. Als er das alles noch hatte, haben die Strahlen und die Signale, die diese Geräte aussandten, ihn krank gemacht. Er wurde mitten in der Nacht von den Stimmen der Elektrogeräte geweckt, selbst wenn diese ausgeschaltet waren. Jetzt kann ihm das alles nichts mehr anhaben, und deshalb hat er die Stecker von Tiefkühltruhe und Kühlschrank wieder in die Steckdose gesteckt. Aber Fernseher oder Radio braucht er nun wirklich nicht. Die senden ja doch nur gottlosen Schund. Rund um die Uhr Mitteilungen Satans.
Er kann sehen, dass er sich verändert hat. Allein in den vergangenen vierundzwanzig Stunden ist er zehn Zentimeter gewachsen. Und seine Haare sind in einem wilden Tempo länger geworden, bald kann er sie in seinem Nacken mit einem Gummiband zusammenfassen. Er hat eine unheimliche Ähnlichkeit mit Viktor Strandgård.
Einen Moment lang versucht er, sich selbst im Spiegel zu finden. Sein altes Ich. Vielleicht funkelt da in seinen Augen etwas auf, aber es ist sofort wieder verschwunden. Das Bild im Spiegel verschwimmt und wird undeutlich. Er ist wie benommen.
Jetzt wringt er die Hände und hält sie dem Spiegel entgegen. Im roten Licht sieht er Blut und Öl aus den Wunden in seinen Handflächen sickern.
Jetzt müsste Sanna Strandgård hier sein. Sie müsste vor ihm knien und das aus seinen Wunden fließende Öl in einer kleinen Glasflasche auffangen.
Er kann sie vor sich sehen. Wie sie langsam den Korken in die grünlich schimmernde Flasche dreht. Die ganze Zeit haftet ihr Blick an seinem, und ihre Lippen formen das Wort: »Rabbuni!«
Natürlich sind ihm bisweilen auch Zweifel gekommen. Zweifel daran, dass er wirklich auserwählt ist. Zweifel an seiner Fähigkeit, die
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