Rebecka Martinsson 01 - Sonnensturm
steht er am Küchentisch. Reißt voller Entsetzen Augen und Mund auf. Er sieht einfach lächerlich aus. Drei klaffende Löcher unter seiner Pelzmütze. Sie lächelt ein schräges Lächeln. Muss mit der Hand ihren Mund abtasten. Ja, der Mund sitzt schräg in ihrem Gesicht. Wie ist er nur da gelandet?
»Was machst du denn da?«, fragt er.
Was sie da macht? Kann er das nicht sehen? Sie säuft, was sonst? Sie ist in den staatlichen Alkoholladen marschiert und hat das Haushaltsgeld für diese Woche in Schnaps angelegt.
Er läuft über vor Vorwürfen und Fragen. Wo sind die Kinder? Weiß sie denn nicht, wie klein diese Stadt ist? Wie soll er anderen erklären, dass seine Frau im Schnapsladen einkauft?
Da öffnet ihr Mund sich und heult los. Die Betäubung in Mund und Gehirn ist verflogen.
»Halt die Fresse, du Arsch«, schreit sie. »Rebecka war hier. Kapierst du? Ich komme ins Gefängnis!«
Er sagt, sie solle ganz ruhig bleiben. Und an die Nachbarn denken. Sie seien ein Team, eine Familie. Die es gemeinsam schaffen werde. Aber Maja kann einfach nicht aufhören zu schreien. Flüche und Verwünschungen, die sie noch nie in ihren Mund genommen hat, strömen nur so aus ihr heraus. Du Arsch! Du verdammtes heuchlerisches Schwein!
Viel später, als er sich davon überzeugt hat, dass Maja wie tot schläft, geht Thomas zum Telefon und wählt eine Nummer.
»Es geht um Rebecka«, sagt er in den Hörer. »Ich kann nicht zulassen, dass sie so weitermacht.«
Freitag, 21. Februar
ES SCHNEITE NICHT MEHR, dafür wehte der Wind. Ein quälender, schneidender, eiskalter Wind fegte über Wälder und Straßen. Er riss den Schnee mit sich und glättete die ganze Landschaft zu einer weißen, gleichmäßigen Decke. Der Morgenzug nach Luleå steckte stundenlang fest, und die von den Hausbesitzern aufgehäuften Schneewehen wurden in die Auffahrten zurückgetragen und versperrten die Garagentore. Der Wind jagte auf seiner Suche nach lockerem Schnee um die Hausecken und stahl sich unter die Kragen von fluchenden Zeitungsboten.
Rebecka Martinsson kämpfte sich auf Sivvings Haus zu. Sie zog den Kopf ein und senkte die Schultern wie ein angriffslustiger Stier. Ihr wurde so viel Schnee ins Gesicht gewirbelt, dass sie kaum etwas sehen konnte. Unter dem einen Arm trug sie Lova wie ein Bündel, in der anderen Hand hielt sie den Rucksack der Kleinen, der aus rosafarbenem Jeansstoff genäht war.
»Ich kann selbst gehen«, jammerte Lova.
»Das weiß ich, Herzchen«, sagte Rebecka. »Aber dann schaffen wir es nicht rechtzeitig. Es geht schneller, wenn ich dich trage.«
Sie öffnete Sivvings Tür mit dem Ellbogen und ließ Lova in die Diele fallen.
»Hallo«, rief sie, und sofort bellte Bella zur Antwort eifrig los. Sivving erschien in der Kellertür.
»Danke, dass du sie nehmen kannst«, sagte Rebecka atemlos und versuchte vergeblich, Lova die Schuhe auszuziehen, ohne die Schnürsenkel aufzubinden. »Diese Trottel. Die hätten mir ja wohl Bescheid sagen können, als ich sie gestern geholt habe.«
Als sie Lova zum Kindergarten gebracht hatte, war ihr mitgeteilt worden, dass das Personal einen Planungstag hatte und dass deshalb an diesem Tag kein Kind dort bleiben konnte. In einer Stunde sollte die Untersuchungshaft verhandelt werden, sie hatte es also sehr eilig. Und schon bald würde der Wind so viel Schnee auf ihr Auto häufen, dass sie ohnehin nicht mehr losfahren könnte. Und dann würde sie nie im Leben rechtzeitig im Gericht sein.
Sie versuchte, die Schnürsenkel aufzureißen, aber Sara hatte doppelte Patentknoten gemacht, als sie morgens ihrer kleinen Schwester beim Schuheanziehen geholfen hatte.
»Lass mich das machen«, sagte Sivving. »Du hast es doch eilig.«
Er hob Lova hoch und setzte sich mit ihr auf dem Knie auf einen kleinen grünen Holzstuhl, der unter seiner Körperfülle fast verschwand. Geduldig machte er sich an den Knoten zu schaffen.
Rebecka bedachte ihn mit einem dankbaren Blick. Der Eilmarsch vom Kindergarten zum Auto und vom Auto zu Sivving hatte ihr den Schweiß ausbrechen lassen. Sie spürte, wie ihre Bluse an ihrem Körper klebte, aber nie im Leben würde sie jetzt duschen und sich umziehen können. Ihr blieb noch eine halbe Stunde.
»Jetzt bleibst du bei Sivving und ich hole dich bald wieder ab, okay?«, sagte sie zu Lova.
Lova nickte und hob ihr Gesicht zu Sivving, wobei sie die Unterseite seines Kinns betrachten konnte.
»Warum heißt du Sivving?«, fragte sie. »Das ist doch ein komischer
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