Rebecka Martinsson 02 - Weisse Nacht
zwischen den alten Tannen strecken, wollen im Gebüsch herumtoben, wollen wieder auf die Pfoten kommen und selbst durch den Schnee gejagt werden.
Und die Welpen werden bald ein Jahr alt sein, unternehmungslustig, kühn, töricht, aber noch immer welpenhaft. Sie begreifen so weit, was hier passiert, dass sie ruhig bleiben und sich nicht bewegen. Sie bellen unsicher. Gelbbein möchte einen verletzten Hasen vor ihre Füße fallen lassen und sehen, wie sie in wildem Jagdeifer hinter dem Tier hersetzen, wie sie vor Eifer übereinander springen.
Sie macht noch einen letzten Versuch. Einen fragenden Schritt. Diesmal jagt die Rudelwölfin sie bis an den Waldrand. Unter die grauen, nadellosen Zweige der alten Tannen. Da steht sie und mustert das Rudel und die Rudelwölfin, die gelassen zu den anderen zurückkehrt.
Jetzt wird sie allein schlafen. Bisher hat sie in den Schlafgeräuschen des Rudels geruht, dem Kläffen und Jagen im Traum, dem Grunzen, Seufzen, Furzen. Jetzt müssen ihre Ohren wachen, während sie selbst in unruhigen Schlaf versinkt.
Jetzt werden fremde Gerüche ihre Nase füllen. Werden die Erinnerung an diese hier vertreiben, an ihre Schwestern und Brüder, Halbgeschwister, Verwandte, an Welpen und Alte.
Sie fällt in einen langsamen Trab. Ihr Weg führt in die eine Richtung. Ihre Sehnsucht in die andere. Hier hat sie gelebt. Dort wird sie überleben.
Sonntag, 10. September
ES IST SONNTAGABEND. Rebecka Martinsson sitzt auf dem Boden in der Kammer im Haus ihrer Großmutter in Kurravaara. Sie macht Feuer im Kamin. Eine Decke um die Schultern gelegt, die Arme um die Knie. Ab und zu streckt sie die Hand nach einem Holzscheit aus, das in einer Holzkiste der Schwedischen Zuckerfabriken liegt. Ihr Blick richtet sich auf das Feuer. Die Muskeln in ihrem Körper sind müde. Den ganzen Tag lang hat sie Teppiche, Decken, Laken, Matratzen und Kissen nach draußen geschleppt. Hat sie ausgeklopft und an der Luft hängen lassen. Sie hat den Boden mit gelber Seife gescheuert und die Fenster geputzt. Hat alles Geschirr gespült und den Küchenschrank ausgewaschen. Das Untergeschoss hat sie zunächst sich selber überlassen. Sie hat den ganzen Tag die Fenster aufgerissen und die stickige alte Luft vertrieben. Jetzt macht sie Feuer in Küchenherd und Kamin, um die letzte Feuchtigkeit zu trocknen. Aber trotzdem hat sie den Sabbat geheiligt. Ihre Gedanken haben ja schließlich geruht. Jetzt ruhen sie im Feuer. Auf uralte Weise.
Polizeiinspektor Sven-Erik Stålnacke sitzt in seinem Wohnzimmer. Der Fernseher läuft lautlos. Falls draußen ein Kater jammert. Es spielt auch keine Rolle, er kennt diesen Film schon. Es ist der, in dem sich Tom Hanks in eine Nixe verliebt.
Ohne den Kater ist das Haus so leer. Er ist an den Straßengräben entlanggewandert und hat leise gerufen. Jetzt merkt er, dass er schrecklich müde ist. Nicht vom Laufen, sondern vom angestrengten Lauschen. Vom Weitermachen. Obwohl er weiß, dass das nichts bringen kann.
Und kein Lebenszeichen von dem verschwundenen Pastor. Schon am Samstag war die Sache zu den Zeitungen durchgesickert. Riesige Artikel über das Verschwinden. Ein Kommentar von der Täterprofilgruppe des Landeskriminalamts, aber nicht von der Psychiaterin, die ihnen das provisorische Profil geliefert hatte. Eine Boulevardzeitung hatte einen alten Fall aus den siebziger Jahren ausgegraben, wo irgendein Irrer in Florida zwei Erweckungsprediger umgebracht hatte. Der Mörder war von einem Mitgefangenen ermordet worden, als er die Toiletten säuberte, hatte aber vorher im Gefängnis noch mit weiteren und unentdeckten Morden geprahlt. Großaufnahme von Stefan Wikström. Die Wörter »Geistlicher«, »Vater von drei Kindern« und »verzweifelte Ehefrau« fanden sich in den Bildunterschriften wieder. Immerhin kein Wort über mögliche Unterschlagungen. Sven-Erik registrierte außerdem, dass an keiner Stelle Stefan Wikströms Widerwille gegen weibliche Geistliche erwähnt wurde.
Mittel zum Personenschutz für Geistliche ganz allgemein gab es natürlich nicht. Die Kollegen hatten schon gemerkt, wie ihr Mut in den Keller sank, als eine Zeitung schrieb: »Polizei: Wir können sie nicht beschützen!« Die Zeitung Expressen wusste Rat für alle, die sich bedroht fühlten. Nie allein sein, andere Gewohnheiten annehmen, auf einem anderen Weg von der Arbeit nach Hause gehen, niemals hinter einem Lieferwagen parken.
Es war natürlich ein Verrückter. Einer, der weitermachen würde, bis ihm ein Fehler
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