Rebecka Martinsson 02 - Weisse Nacht
nicht im hohen Gras. Möglicherweise zog er den Kopf ein wenig ein und senkte den Schwanz. Er war dunkelgrau. Sein Fell war lang und weich, machte fast einen daunenartigen Eindruck. Sven-Erik fand, dass das Tier unzuverlässig aussah. Platter Kopf, gelbe Augen. Wenn so ein Teufel Manne angegriffen hatte, dann hatte Manne keine Chance gehabt.
Sven-Erik konnte es vor sich sehen, wie Manne sich irgendwo auf Katzenweise verkroch, in einem Graben vielleicht oder unter einem Haus. Übel zugerichtet und geschwächt. Am Ende eine leichte Beute für einen Fuchs oder einen Jagdhund. Ihm brauchte nur noch das Rückgrat gebrochen zu werden, schnipp, schnapp.
Anna-Marias Hand berührte seine Schulter. Sie gingen ein Stück weit weg. Kristin Wikström starrte vor sich hin. Sie hob die rechte Hand an ihr Gesicht und biss sich in den Zeigefinger.
»Was meinst du?«, fragte Anna-Maria.
»Wir lassen ihn zur Fahndung ausschreiben«, sagte Sven-Erik und sah Kristin Wikström an. »Ich habe ein ganz schlechtes Gefühl. Erst mal im ganzen Land. Und bei den Zollstationen. Wir überprüfen die Passagierlisten der in Frage kommenden Flüge und sein Konto und sein Mobiltelefon. Und wir müssen wohl mit seinen Kollegen und Freunden und Verwandten sprechen.«
Anna-Maria nickte.
»Überstunden.«
»Ja, aber was, zum Teufel, soll der Staatsanwalt sagen? Wenn die Presse von der Sache Wind kriegt, dann…«
Sven-Erik machte eine Hilfe suchende Handbewegung.
»Wir müssen sie auch nach den Briefen fragen«, sagte Anna-Maria. »Die sie an Mildred geschrieben hat.«
»Aber nicht gerade jetzt«, entschied Sven-Erik. »Erst wenn jemand die Jungen geholt hat.«
MICKE KIVINIEMI HATTE von seinem strategischen Standplatz hinter dem Tresen aus den Überblick über das Lokal. Der König in seinem Reich. In seinem lärmenden, chaotischen Reich, wo es immer nach Essen, Zigarettenrauch, Bier und Aftershave mit einem Hauch Schweiß roch. Er zapfte ein Bier nach dem anderen, ab und zu füllte er auch ein Glas mit Rotwein oder sogar mit Weißwein oder Whisky. Mimmi rannte wie gehetzt zwischen den Tischen hin und her und raspelte mit den Gästen Süßholz, während sie den Lappen über die Tischplatten sausen ließ und Bestellungen aufnahm. Er hörte ihr »Hähnchentopf oder Lasagne, mehr gibt es nicht«.
Der Fernseher stand in der Ecke, und in der Bar lief die Anlage. Rebecka Martinsson schwitzte in der Küche. Immer wieder schob sie Essensportionen in die Mikrowelle oder zog sie heraus. Holte Tabletts voller schmutziger Gläser aus dem Lokal und brachte saubere. Es war wie in einem witzigen Film. Alle Ärgernisse schienen für Micke weit weg zu sein: Finanzamt. Bank. Am Montagmorgen, wenn beim Aufwachen die verdammte Müdigkeit noch tief in seinen Knochen steckte, dann hörte er zu, wie die Ratten hinter den Mülltonnen tanzten.
Wenn nur Mimmi ein wenig eifersüchtig sein könnte, weil er Rebecka Martinsson angeheuert hatte, dann wäre alles perfekt. Aber sie hatte das nur eine gute Idee gefunden. Er hatte sich die Bemerkung verkniffen, dass Rebecka Martinsson für die alten Kerle ein neuer Anblick sein würde. Mimmi hätte auch dann nichts gesagt, aber er hatte einfach das Gefühl, dass sie irgendwo einen kleinen Kasten versteckt hatte. Und in diesem Kasten sammelte sie all seine Fehler und Patzer, und wenn der Karton eines Tages voll wäre, würde sie ihre Siebensachen packen und gehen. Ohne Vorwarnung. Nur Frauen, denen der Mann etwas bedeutete, gaben Vorwarnungen.
Aber im Moment summte es in seinem Laden wie in einem Ameisenhaufen im Frühling.
Das ist eine Arbeit, der ich gewachsen bin, dachte Rebecka Martinsson und spritzte Wasser auf die Teller, ehe sie in der Spülmaschine landeten.
Man braucht nicht zu denken oder sich zu konzentrieren. Man muss einfach nur schleppen, sich anstrengen und sich beeilen. Die ganze Zeit Tempo vorlegen. Sie merkte gar nicht, dass sie über das ganze Gesicht strahlte, als sie Micke ein Tablett mit sauberen Gläsern brachte.
»Geht’s gut?«, fragte er und lachte zurück.
Sie spürte ihr Mobiltelefon in ihrer Schürzentasche brummen und zog es heraus. Aber bestimmt war es nicht Maria Taube. Die arbeitete zwar fast immer, an einem Samstagabend nun aber doch nicht. Dann zog sie los und ließ sich zu Drinks einladen.
Måns’ Nummer im Display. Ihr Herz setzte einen Schlag aus.
»Rebecka«, brüllte sie ins Telefon und hielt sich das andere Ohr zu, um ihn hören zu können.
»Måns«, brüllte Måns Wenngren
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