Rebecka Martinsson 02 - Weisse Nacht
zurück.
»Moment mal«, rief sie. »Einen Augenblick, hier ist so viel Krach!«
Sie lief durch das Lokal, zeigte Micke das Handy, hob die Finger der anderen Hand, sagte lautlos und mit deutlichen Lippenbewegungen »fünf Minuten«. Micke nickte zustimmend, und sie verschwand auf dem Hofplatz. In der kühlen Abendluft sträubten sich die Härchen auf ihren Armen.
Jetzt hörte sie, dass auch am anderen Ende der Leitung ein Höllenlärm veranstaltet wurde. Måns war also auch in einer Kneipe. Dann wurde es ruhiger.
»So, jetzt kann ich reden«, sagte sie.
»Ich auch. Wo steckst du?«, fragte Måns.
»Vor Mickes Bar & Küche in Poikkijärvi, das ist ein Ort in der Nähe von Kiruna. Und du?«
»Vor Spyan, das ist eine Kneipe in der Nähe vom Stureplan.«
Sie lachte. Er schien munter zu sein. Nicht so verdammt abweisend. Er war betrunken. Ihr war das egal. Sie hatten seit dem Abend, an dem sie von Lidö weggerudert war, nicht miteinander geredet.
»Amüsierst du dich?«, fragte er.
»Nein, ehrlich gesagt arbeite ich schwarz.«
Jetzt ist er sauer, dachte Rebecka. Oder vielleicht auch nicht, hier war alles möglich.
Und Måns lachte laut.
»Ach, und was machst du?«
»Ich hab einen Superjob als Tellerwäscherin«, sagte sie mit übertriebenem Enthusiasmus. »Ich verdiene fünfzig Mäuse pro Stunde, das macht für heute Abend zweihundertfünfzig. Und angeblich darf ich auch das Trinkgeld behalten, aber ich weiß nicht, es kommen ja nur wenige in die Küche, um der Tellerwäscherin ein paar Münzen in die Hand zu drücken, und da waren das wohl leere Versprechungen.«
Sie hörte Måns in Stockholm lachen. Ein schnaufendes Höhö, dem ein fast bettelndes Uhuu folgte. Sie wusste, dass er sich bei diesem Uhuu immer die Augen wischte.
»Verdammt, Martinsson«, nuschelte er.
Mimmi schaute aus der Tür und bedachte Rebecka mit einem Blick, der Krise bedeutete.
»Du, ich muss aufhören«, sagte Rebecka. »Sonst gibt’s Lohnabzug.«
»Dann schuldest du da oben sicher Geld. Wann kommst du zurück?«
»Ich weiß nicht.«
»Dann werd ich dich wohl holen müssen«, sagte Måns. »Du bist ja nicht zurechnungsfähig.«
Tu das, dachte Rebecka.
Um halb zwölf betrat Lars-Gunnar Vinsa das Lokal. Teddy war nicht bei ihm. Er blieb vor der Tür stehen und schaute sich um. Er war wie ein Windstoß im Gras. Alle wurden von seiner Anwesenheit beeinflusst. Einige Hände wurden erhoben, manche nickten zum Gruß, Gespräche wurden unterbrochen, verstummten, um dann fortgesetzt zu werden. Einige drehten sich um. Er wurde registriert. Er beugte sich über den Tresen und sagte zu Micke: »Diese Rebecka Martinsson, ist die jetzt weg oder was?«
»Nö«, sagte Micke. »Die arbeitet heute Abend sogar hier.«
Etwas in Lars-Gunnars Haltung ließ ihn hinzufügen: »Nur dieses eine Mal, hier ist so viel los, und Mimmi hat doch ohnehin schon viel zu viel zu tun.«
Lars-Gunnar streckte seine Bärenpranke über den Tresen und zog Micke in Richtung Küche.
»Komm, ich will mit ihr reden, und du musst dabei sein.«
Mimmi und Micke konnten noch schnell einen Blick wechseln, ehe Micke und Lars-Gunnar durch die Schwingtür in der Küche verschwanden.
Was soll das denn, fragten Mimmis Augen.
Was weiß ich, antwortete Micke.
Wieder der Wind im Gras.
Rebecka Martinsson stand in der Küche und war mit Spülen beschäftigt.
»Ach, Rebecka Martinsson«, sagte Lars-Gunnar. »Kommen Sie mit Micke und mir nach hinten, damit wir reden können.«
Sie gingen aus der Hintertür. Das Mondlicht lag wie Fischschuppen im schwarzen Fluss. Dazu der dumpfe Lärm aus dem Lokal. Das Rauschen der Tannenwipfel.
»Sie müssen Micke sagen, wer Sie sind«, sagte Lars-Gunnar ruhig.
»Was willst du wissen?«, fragte Rebecka. »Ich heiße Rebecka Martinsson.«
»Sie könnten ihm vielleicht erzählen, was Sie hier machen?«
Rebecka schaute Lars-Gunnar an. Wenn sie bei ihrer Arbeit etwas gelernt hatte, dann, niemals einfach drauflos zu plappern.
»Sie scheinen etwas auf dem Herzen zu haben«, sagte sie. »Also reden Sie.«
»Sie kommen von hier, genauer gesagt, nicht von hier, sondern aus Kurravaara. Sie arbeiten als Juristin, und Sie haben vor zwei Jahren die drei Pastoren in Jiekajärvi umgebracht.«
Zwei Pastoren und einen kranken Jungen, dachte sie.
Sie korrigierte ihn aber nicht. Sie wartete schweigend ab.
»Ich dachte, du bist Sekretärin«, sagte Micke.
»Sie können sich ja denken, dass wir uns wundern, wir Ortsansässigen«, sagte Lars-Gunnar.
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