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Rebecka Martinsson 02 - Weisse Nacht

Rebecka Martinsson 02 - Weisse Nacht

Titel: Rebecka Martinsson 02 - Weisse Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Asa Larsson
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unterlief.
    Sven-Erik denkt an Manne. Verschwinden war in gewisser Weise noch schlimmer als der Tod. Man konnte nicht trauern. Man wurde nur von der Ungewissheit gequält. Der Kopf wie eine Müllgrube gefüllt mit schrecklichen Vorstellungen davon, was passiert sein konnte.
    Herrgott, Manne war doch nur ein Tier. Wenn es sich um seine Tochter gehandelt hätte. Diese Vorstellung aber ist zu groß. Die kann er nicht erfassen.
    Probst Bertil Stensson sitzt auf seinem Wohnzimmersofa. Ein Glas Cognac steht auf der Fensterbank hinter ihm. Sein rechter Arm ruht auf der Sofalehne hinter dem Nacken seiner Frau. Mit der linken Hand streichelt er ihre Brust. Der Blick seiner Frau klebt am Fernseher, es ist ein alter Film mit Tom Hanks, ihre Mundwinkel zeigen aber, dass sie sich freut. Er streichelt eine Brust und eine Narbe. Er denkt an ihre Angst vor vier Jahren, als die andere Brust entfernt werden musste. »Man möchte doch auch mit sechzig noch begehrt werden«, sagte sie. Aber inzwischen liebt er diese Narbe noch mehr als die Brust, die vorher dort war. Als Erinnerung daran, dass das Leben kurz ist. Noch ehe eure Töpfe das Brennholz spüren und während das Fleisch noch roh ist, wird ein glühender Wind es fortreißen. Diese Narbe gibt allen Dingen ihre richtigen Proportionen zurück. Hilft ihm, das Gleichgewicht zwischen Arbeit und Freizeit zu bewahren, zwischen Pflicht und Liebe. Ab und zu hat er Lust, über diese Narbe zu predigen. Aber das geht natürlich nicht. Außerdem würde es ihm auf unerklärliche Weise wie ein Übergriff erscheinen. Die Narbe würde ihre Kraft in seinem Leben verlieren, wenn er ihr Worte und Öffentlichkeit gäbe. Es ist die Narbe, die für Bertil predigt. Er hat ein Recht, über diese Predigt zu verfügen und sie für andere zu halten.
    Mit Mildred hat er geredet. Vor vier Jahren. Nicht mit Stefan. Nicht mit dem Bischof, obwohl sie seit endlos vielen Jahren befreundet sind. Er glaubt sich zu erinnern, dass er geweint hat. Dass Mildred eine gute Zuhörerin war. Dass er das Gefühl hatte, ihr vertrauen zu können.
    Sie hat ihn wahnsinnig gemacht. Aber jetzt, wo er hier sitzt, mit der Narbe seiner Frau unter dem linken Zeigefinger, fällt ihm eigentlich nicht ein, was ihn an Mildreds Worten so provoziert hat. Oder höchstens, dass sie eine Emanze war und nicht so richtig im Gefühl hatte, was zur Arbeit der Kirche gehört und was nicht.
    Sie hat ihn als Chef heruntergemacht. Das hat ihn gestört. Nie hat sie ihn um Erlaubnis gefragt. Nie um Rat. Es fiel ihr sehr schwer, sich ins Glied zu fügen.
    Er schnappt fast nach Luft angesichts seiner Wortwahl, sich ins Glied fügen. So ein Chef ist er doch nun wirklich nicht. Er ist stolz darauf, dass er seinen Angestellten Freiheit und eigene Verantwortung lässt. Aber er ist trotzdem der Chef.
    Ab und zu hat er das Mildred gegenüber klarstellen müssen. Wie bei dieser Sache mit der Beerdigung. Es ging um einen Mann, der aus der Kirche ausgetreten war. Aber im Jahr vor seiner Erkrankung hatte er Mildreds Gottesdienste besucht. Dann war er gestorben. Und hatte mitteilen lassen, dass er von Mildred beerdigt werden wollte. Sie hatte eine nichtkirchliche Trauerfeier veranstaltet. Er hätte bei dieser kleinen Regelwidrigkeit natürlich ein Auge zudrücken können, aber er hatte sie dem Domkapitel gemeldet, und Mildred war zum Bischof bestellt worden. Das war doch nur recht und billig gewesen, hatte er damals gefunden. Denn wozu hatte man Regeln, wenn man sich doch nicht daran hielt?
    Sie war zur Arbeit zurückgekommen und so gewesen wie immer. Hatte ihr Gespräch mit dem Bischof mit keinem Wort erwähnt. War weder sauer noch beleidigt gewesen. Das wiederum hatte Bertil den leisen Verdacht eingegeben, dass der Bischof vielleicht beim Gespräch ihre Partei ergriffen hatte. Dass der Bischof so ungefähr gesagt habe, er müsse mit ihr sprechen und sie abmahnen, da Bertil ja darauf bestanden habe. Dass sie in schweigendem Einverständnis Bertil als beleidigte Leberwurst, unsicheren Chef und vielleicht auch ein wenig neidisch abgetan hatten. Weil nicht er es war, von dem der Tote hatte beerdigt werden wollen.
    Es kommt nicht so oft vor, dass Menschen wirklich ehrliche Gewissenserforschung betreiben. Aber hier sitzt er nun und scheint der Narbe zu beichten.
    Es stimmte. Natürlich war er ein wenig neidisch gewesen. Ein wenig sauer über diese bedingungslose Liebe, die ihr von so vielen entgegengebracht wurde.
    »Sie fehlt mir«, sagt Bertil zu seiner Frau.
    Sie

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