Rebecka Martinsson 02 - Weisse Nacht
könne. Der Hund sollte eingeschläfert werden, aber sein Besitzer hätte ihn lieber verschenkt. Nur passte Karelin nicht in die Stadt. »Kann ich mir vorstellen«, sagte die Tierärztin zu Lisa, »du solltest mal sehen, wie der Hund sein Herrchen an der Leine hinter sich herzieht.«
Und dann ist da Kotz-Morris, ihr norwegischer Springerspaniel. Spross von bei Jagden ausgezeichneten Ausstellungssiegern. Hier draußen bei dieser Räuberbande ist sein Talent vergeudet. Lisa jagt ja nicht einmal. Er setzt sich gern neben sie und lässt sich den Brustkorb streicheln. Dann legt er die Pfoten schwer auf ihr Knie und erinnert sie daran, dass es ihn gibt. Er ist ein lieber, freundlicher Herr. Seidenfell und lockige Ohren wie eine Hundedame, Autofahren ist ihm eine Qual. Aber jetzt liegen sie alle vier im Haus. Lisa wirft alles Mögliche ins Feuer. Matratzen und alte Hundedecken, Bücher und Möbel. Papier. Noch mehr Papier. Briefe. Alte Fotos. Es wird ein riesiger Scheiterhaufen. Lisas Blicke verlieren sich in den Flammen.
Am Ende wurde es so anstrengend, Mildred zu lieben. Zu schleichen, zu schweigen, zu warten. Sie stritten sich. Es war wie in einem Stück von Lars Norén.
Jetzt streiten sie sich in Lisas Küche. Mildred schlägt die Fenster zu.
Das ist das Wichtigste, denkt Lisa. Dass niemand etwas hört.
Lisa spuckt alles aus. Alle Wörter bedeuten dasselbe. Sie bereut schon, noch ehe sie sie gesagt hat. Dass Mildred sie nicht liebt. Dass sie es satt hat, ein Zeitvertreib zu sein. Dass sie die Heuchelei satt hat.
Lisa steht mitten im Raum. Sie würde gern mit Gegenständen um sich schmeißen. Ihre Verzweiflung lässt sie die Kontrolle verlieren. Noch nie hat sie sich so aufgeführt.
Und Mildred scheint den Kopf einzuziehen. Sitzt dicht neben Kotz-Morris auf dem Sofa. Auch der zieht den Kopf ein. Mildred streichelt den Hund wie ein Kind, das getröstet werden muss.
»Und die Gemeinde?«, fragt sie. »Und Magdalena? Wenn wir offen miteinander leben, dann ist Schluss. Das wäre der endgültige Beweis dafür, dass ich nur eine frustrierte Männerhasserin bin. Ich kann die Geduld der Leute nicht über Gebühr strapazieren.«
»Also opferst du lieber mich?«
»Nein, warum muss das so sein? Ich bin glücklich. Ich liebe dich, ich kann es tausendmal sagen, aber du willst offenbar Beweise.«
»Hier ist nicht die Rede von Beweisen, sondern davon, atmen zu können. Wahre Liebe will gesehen werden. Aber das ist eben das Problem. Du willst nicht, du liebst mich nicht. Magdalena ist nur deine verdammte Entschuldigung dafür, nicht die Konsequenzen zu ziehen. Erik lässt sich das vielleicht gefallen, ich aber nicht. Also such dir eine andere Geliebte, du hast bestimmt Auswahl genug.«
Jetzt fängt Mildred an zu weinen. Ihr Mund wehrt sich noch dagegen. Sie schmiegt ihr Gesicht an den Hund. Wischt sich mit dem Handrücken die Tränen ab.
Lisa hat sie dazu bringen wollen. Am liebsten würde sie sie vielleicht schlagen. Sie sehnt sich nach ihren Tränen und ihrem Schmerz. Aber sie ist nicht zufrieden. Ihr eigener Schmerz hat noch immer Hunger.
»Hör auf zu flennen«, sagt sie hart. »Mich kannst du damit nicht beeindrucken.«
»Ich werde aufhören«, verspricht Mildred wie ein Kind, ihre Stimme klingt brüchig, ihre Hand wischt weiter Tränen ab.
Und Lisa, die sich immer ihre Unfähigkeit zu lieben vorgeworfen hat, fällt das Urteil.
»Du tust dir selber leid, das ist alles. Ich glaube, mit dir stimmt etwas nicht. Irgendwas fehlt dir. Du behauptest zu lieben, aber wer kann einen anderen Menschen öffnen und hineinblicken und sehen, was das bedeutet? Ich könnte alles aufgeben, alles ertragen. Ich will dich heiraten. Aber du…du kannst keine Liebe empfinden. Du kannst keinen Schmerz empfinden.«
Nun schaut Mildred vom Hund auf. Auf dem Küchentisch brennt eine Kerze in einem Messinghalter. Sie hält die Hand über die Flamme, die brennt sich in ihre Handfläche hinein.
»Ich weiß nicht, wie ich beweisen soll, dass ich dich liebe«, sagt sie. »Aber ich kann dir beweisen, dass ich Schmerz empfinden kann.«
Ihr Mund kneift sich zu einem gequälten Strich zusammen. Ihre Augen tränen. Ein widerwärtiger Geruch verbreitet sich in der Küche.
Am Ende, es scheint endlos lange gedauert zu haben, packt Lisa Mildreds Handgelenk und reißt ihre Hand von der Kerze fort. Die Wunde in der Handfläche ist rußig und blutig. Lisa starrt sie entsetzt an.
»Du musst ins Krankenhaus«, sagt sie.
Aber Mildred schüttelt den
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