Rebecka Martinsson 03 - Der schwarze Steg
weiß, dass es hier um Geben und Nehmen geht. Es ist großartig, der Kumpel des Freiherrn zu sein, aber umsonst gibt es das natürlich nicht.
Diddi hat sich irgendwie durch das Gymnasium gehangelt, hat hier geklaut und da gepfuscht. Es gibt immer tüchtige, aber hoffnungslose Mitschüler, die Hilfe bei Aufsätzen und Klausuren gegen ein wenig Aufmerksamkeit eintauschen. Eine Win-win-Situation.
Ein Talent hat Diddi jedenfalls. Er ist ungemein liebenswert. Legt den Kopf ein wenig schräg, um sich den Pony aus den Augen zu werfen, wenn er mit jemandem redet. Scheint alle wirklich gern zu mögen, vor allem das augenblickliche Gegenüber. Lacht mit Augen und Mund und streckt mit ungeheurer Behutsamkeit und Leichtigkeit die Hand nach den Herzen der Menschen aus.
Jetzt ist es Mauri Kallis, der sich auserwählt und umworben fühlen darf. Es ist Mittwochabend, und sie sitzen in einer Unikneipe. Sie kommen sich vor wie alte Freunde. Diddi ignoriert eine übellaunige Blondine, die einen Tick zu laut lacht und zu ihnen herüberschielt. Er begrüßt eine Menge Leute, die an den Tisch kommen und plaudern wollen. Aber er spricht nicht mit ihnen, an diesem Abend sind diese Leute nicht angesagt.
Mauri trinkt ein wenig zu viel, wie man das macht, wenn man anfangs nervös ist. Diddi hält mit, aber er kann es besser vertragen. Sie geben abwechselnd Runden aus. Diddi hat ein wenig Kokain in der Tasche. Für den Fall, dass es angebracht sein sollte. Er spielt nach Gehör.
Aber dieser Typ ist wirklich nicht uninteressant. Diddi erzählt auserwählte Anekdoten aus seiner Kindheit. Wie er vom Vater unter Druck gesetzt wurde, weil er studieren sollte. Wutausbrüche und Demütigungen, wenn er bei Klausuren versagt hatte. Er gibt alles ohne Umschweife zu und ergänzt lachend, dass er leider ein dummes Blondchen ist, das an einer Uni nichts zu suchen hat.
Aber dann verteidigt er seinen Vater. Der kann natürlich nicht über seinen Schatten springen. Erzogen nach der alten Schule, stand auf der Türschwelle und musste sich vor seinem Vater verbeugen, also vor Diddis Großvater, ehe er das Zimmer betreten durfte. Von Auf-dem-Schoß-Sitzen und Schmusen war da nicht die Rede.
Und nach dieser vertraulichen Eröffnung bohrt und fragt er. Und betrachtet Mauri, den schmächtigen Jungen, zu weite Flanellhose, billige Schuhe, gut gebügeltes Hemd aus so dünner Baumwolle, dass man die Brustbehaarung sieht. Mauri, der seine Bücher in einer Plastiktüte aus einem Supermarkt mit sich trägt. Er gibt sein Geld nicht für Gegenstände aus, so viel steht fest.
Und Mauri erzählt von sich. Dass er mit zwölf Jahren einen Einbruch begangen hat, bei dem er erwischt wurde. Er erzählt von der Sozialarbeiterin, die ihn dazu gebracht hat, sich zusammenzureißen und in der Schule zu lernen. »War sie hübsch?«, fragt Diddi. Mauri lügt und sagt Ja. Er weiß nicht, warum. Diddi muss lachen. »Du steckst wirklich voller Überraschungen«, sagt er. »Und besonders kriminell siehst du nicht gerade aus.« Mauri, dem ein wenig schwindelt und der sich genau überlegt, was er erzählen will, verrät nichts darüber, dass eine Bande von älteren Jungen, sein Pflegebruder und dessen Kumpels, ihn und die anderen kleinen, noch nicht strafmündigen Jungen die Drecksarbeiten für sich machen ließ.
»Wie sieht man aus, wenn man kriminell ist?«, fragt er stattdessen.
Diddi wirkt durchaus beeindruckt. »Und jetzt bist du der Star der Handelshochschule«, sagt er.
»Mit meinen Noten in BWL kann ich kaum etwas werden«, sagt Mauri.
»Das liegt doch daran, dass du lieber Aktienkurse studierst, statt zu büffeln. Das wissen schließlich alle.«
Mauri gibt keine Antwort. Versucht, die Aufmerksamkeit des Barmanns zu erregen, um noch zwei Bier zu bestellen, kommt sich vor wie ein ignorierter Zwerg, der versucht, über die Tischkante zu lugen. Diddi lächelt derweil die Blondine an und schaut ihr in die Augen. Eine kleine Investition für die Zukunft.
Sie enden im Grodan und sitzen eng gequetscht in der Bar und bezahlen dreimal so viel für das Bier.
»Ich hab ein paar Mäuse«, sagt Diddi. »Die könntest du für mich investieren. Das meine ich wirklich ernst. Das Risiko gehe ich ein.«
Diddi versteht nicht so ganz, was er jetzt bei Mauri sieht. Eine halbe Sekunde, in der er sich irgendwie zusammenreißt, auf einen nüchternen Teil seines Gehirns umschaltet, analysiert, einen Entschluss fasst. Später wird Diddi lernen, dass Mauri niemals die Urteilsfähigkeit einbüßt.
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