Rebecka Martinsson 03 - Der schwarze Steg
wer nicht sieht, dass Mittel der schwedischen Entwicklungshilfe, der Sida, ans Militär gehen, das die Zivilbevölkerung terrorisiert und außerdem Gruben in Nord-Kongo betreibt und ausplündert, den nenne ich naiv. Jedes Jahr werden Milliarden zur Aidsbekämpfung nach Afrika gepumpt, aber fragen Sie irgendeine Frau in irgendeinem afrikanischen Land, und sie wird sagen: Kein Unterschied. Was also wird aus diesem vielen Geld?«
Malou von Sivers: »Ja, was?«
Mauri Kallis: »Das landet in der Privatschatulle der Regierungsmitglieder, aber das ist nicht einmal das Schlimmste. Lieber Luxusvillen als Waffen. Aber die Angestellten der Sida fühlen sich ja wohl bei ihrer Arbeit, und das ist gut und schön. Ich versuche nur zu sagen, dass man, wenn man da unten die Wirtschaft ankurbeln will, zwangsläufig mit Menschen zu tun hat, die auf irgendeine Weise zweifelhaft sind. Man macht sich die Finger ein wenig schmutzig, aber man tut doch immerhin etwas. Und wenn ich eine Straße zu meinem Bergwerk baue, kann ich kaum verhindern, dass auch Kampftruppen sie benutzen.«
Malou von Sivers: »Sie schlafen nachts also gut?«
Mauri Kallis: »Ich schlafe nachts immer gut, aber nicht deshalb.«
Malou von Sivers (jetzt gerät er in die Defensive, deshalb ändert sie die Stoßrichtung): »Und nun habe ich das Gefühl, dass wir wieder bei Ihrer Kindheit angelangt sind, können Sie davon erzählen? Geboren in Kiruna, 1964. Alleinstehende Mutter, die sich nicht um Sie kümmern konnte.«
Mauri Kallis: »Nein, sie war nicht fähig, ein Kind zu versorgen. Meine Halbschwestern, die dann später kamen, wurden fast sofort in die Obhut des Jugendamtes genommen, aber ich war ja ihr erstes Kind, deshalb habe ich bei ihr gewohnt, bis ich elf war.«
Malou von Sivers: »Wie war das?«
Mauri Kallis (sucht nach Worten, schließt ab und zu die Augen, er scheint Pausen einzulegen, um vor seinem inneren Auge Szenen ablaufen zu sehen): »Ich musste ja allein zurechtkommen … fast immer. Sie schlief, wenn ich morgens zur Schule ging. Sie … war schrecklich böse, wenn ich sagte, dass ich Hunger hätte. Sie blieb tagelang verschwunden, ohne dass ich wusste, wo sie war.«
Malou von Sivers: »Fällt es Ihnen schwer, darüber zu reden?«
Mauri Kallis: »Sehr.«
Malou von Sivers: »Sie haben selbst Familie. Frau, zwei Jungen von zwölf und dreizehn Jahren. In welcher Weise hat Ihre Kindheit Sie in Ihrer Rolle als Familienvater geprägt?«
Mauri Kallis: »Das ist schwer zu sagen, aber ich habe keine Erinnerungsbilder von einem normalen Familienleben. In der Schule sah ich, wie soll man das nennen, normale Mütter. Sie hatten saubere, ordentlich frisierte Haare … und Väter. Manchmal war ich zu Hause bei Klassenkameraden, aber nicht sehr oft. Und ich sah, wie ein Zuhause aussehen kann. Möbel, Teppiche, Ziergegenstände, Fische im Aquarium. Zu Hause hatten wir fast nichts. Vom Sozialamt bekamen wir einmal ein schönes gebrauchtes Sofa, das weiß ich noch. Es hatte so eine Klappe in der Rückenlehne, die man öffnen konnte, und dann konnte man ein Extrabett herausrollen. Ich fand das ungeheuer luxuriös. Zwei Tage darauf war es verschwunden.«
Malou von Sivers: »Was ist damit passiert?«
Mauri Kallis: »Sicher ist es von irgendwem verkauft worden. Bei uns kamen und gingen die Leute. Die Tür war nie abgeschlossen, wenn ich das richtig in Erinnerung habe.«
Malou von Sivers: »Und dann wurden Sie in eine Pflegefamilie gegeben.«
Mauri Kallis: »Mutter wurde schrecklich paranoid und bedrohte die Leute in der Nachbarschaft und in der Stadt. Und da griffen die Behörden ein. Und als die Behörden eingriffen …«
Malou von Sivers: »Da betraf das auch Sie. Und Sie waren damals elf.«
Mauri Kallis: »Ja. Und man kann sich noch so denken und wünschen … dass alles anders gekommen wäre, dass das Jugendamt früher eingegriffen hätte oder so … aber so war es eben.«
Malou von Sivers: »Sind Sie selbst ein guter Vater?«
Mauri Kallis: »Schwer zu sagen. Ich gebe mir alle Mühe, aber ich bin natürlich viel zu oft weg. Das ist ein Problem.«
Anna-Maria Mella setzte sich in ihrem Sessel zurecht.
»Das macht mich verrückt«, sagte sie zu Sven-Erik. »Gestandene Sünde ist keine Sünde, sozusagen. Sowie er gesagt hat, ›müsste mehr Zeit für meine Kinder haben‹, ist er ein guter Mensch. Was will er den Jungen sagen, wenn sie erwachsen sind?
›Ich weiß, dass ich nie für euch da war, aber ihr könnt mir glauben, dass ich die ganze Zeit
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