Rebecka Martinsson 03 - Der schwarze Steg
Weinen, Hass.
Und den herrenlosen Hund, der in seiner Brust wohnt, den muss er einfach an der Leine halten.
Dann bricht Inna in ihr gurrendes Lachen aus.
»Du bist wunderbar«, sagt sie. »Ich hoffe, wir sehen uns irgendwann.«
Kommissarin Anna-Maria Mella zog das Tuch über Inna Wattrangs Gesicht.
»Wir fahren auf die Wache«, sagte sie. »Und dort werden Sie uns ein wenig über Inna Wattrang erzählen.«
Was soll ich sagen, überlegte Mauri Kallis. Dass sie eine drogensüchtige Nutte war? Dass sie Gott so ähnlich war, wie das für einen Menschen überhaupt nur möglich ist?
Und er log nach besten Kräften. Und die waren ziemlich groß.
UM EIN UHR war Rebecka bei Gericht fertig. Sie schob einen tristen Imbiss in die Mikrowelle und machte sich an die Post dieses Morgens. Als sie sich gerade an den Schreibtisch gesetzt hatte, stieß ihr Computer einen Piepton aus. E-Mail von Måns Wenngren.
Seinen Namen auf dem Bildschirm zu sehen reichte aus, um ihr einen Schauer durch den Leib zu jagen. Sie klickte die E-Mail an, als ob es sich um einen Reaktionstest handelte.
»Jetzt ist bei euch oben der Bär los, nehme ich an. Hab heute früh das von Inna Wattrang gelesen. Übrigens fährt das ganze Büro jetzt am Wochenende zum Skilaufen nach Riksgränsen. Drei Tage, Fr–So. Komm doch auf ein Glas hoch.«
Mehr nicht. Sie las die Mitteilung mehrere Male. Drückte auf Senden/Empfangen, als ob das mehr hervorzaubern könnte, eine weitere Nachricht vielleicht.
Er hätte mich unglücklich gemacht, dachte sie. Das weiß ich doch.
Als enge Mitarbeiterin hatte sie im Nachbarzimmer gesessen und ihn telefonieren hören: »Du, ich bin gerade auf dem Weg zu einer Besprechung«, obwohl Rebecka ja wusste, dass das nicht der Fall war. »Ich ruf dich an … doch, ganz bestimmt … ich ruf dich heute Abend an.« Dann wurde das Gespräch beendet, oder vielleicht ließ die Person am anderen Ende der Leitung auch nicht locker, und dann hörte sie seine Bürotür ins Schloss fallen.
Er spricht nie über seine erwachsenen Kinder, vielleicht, weil er nicht viel Kontakt zu ihnen hat, vielleicht, um die anderen nicht daran zu erinnern, dass er doch schon über fünfzig ist.
Er trank zu viel.
Er schlief mit frisch eingestellten Juristinnen und ab und zu auch mit Mandantinnen.
Einmal hatte er sein Glück bei Rebecka versucht. Auf einer Weihnachtsfeier in der Kanzlei. Er war reichlich angetrunken gewesen, und alle anderen hatten ihn schon abgewiesen. Sein unbeholfenes Suffgefummel war nicht einmal ein Kompliment, es war eine Beleidigung gewesen.
Trotzdem dachte sie immer wieder an seine Hand, die um ihren Nacken gelegen hatte. An die vielen Male, wenn sie zusammen im Gericht gesessen, wenn sie zusammen zu Mittag gegessen hatten. Einander immer ein wenig zu nah, gerade so, dass man einander immer wieder aus Versehen berührte. Oder war das nur Einbildung?
Und damals, als sie schwer verletzt gewesen war. Da hatte er über sie gewacht.
Das ist es ja gerade, dachte sie. Genau das habe ich so satt. Dieses Hin und Her. Einerseits, andererseits. Einerseits weist alles darauf hin, dass ich ihm wichtig bin. Andererseits weist dies und jenes darauf hin, dass ich ihm eben nicht wichtig bin. Einerseits müsste ich ihn vergessen. Andererseits müsste ich wie eine Ertrinkende nach jeder einzelnen kleinen Liebe greifen, die ich nur finden kann. Einerseits wird das kompliziert. Andererseits ist es ja nie so einfach. Mit der Liebe.
Liebe ist, wie von einem Dämon besessen zu sein. Der Wille wird weich wie Butter. Das Gehirn von Löchern zerfressen. Wir haben keine Macht über uns selbst.
Sie hatte ihr Bestes gegeben, als sie für Måns gearbeitet hatte. Sie legte jeden Morgen Zwangsjacke, Maulkorb und Dressurhalsband an. Nahm sich gewaltig in Acht, um sich ja nicht zu verraten. Sie wappnete sich mit Steifheit und versteckte sich darin. Sie sprach gerade so viel wie notwendig mit ihm. Kommunizierte über gelbe Klebezettel und per E-Mail, obwohl sie doch im Nachbarzimmer saß. Schaute oft aus dem Fenster, wenn er mit ihr sprach.
Aber sie schuftete für ihn wie eine Närrin. Sie war die beste Assistentin, die er jemals gehabt hatte.
Wie ein jämmerlicher Hund, dachte sie jetzt.
Sie müsste die Mail sofort beantworten. Sie schrieb eine Antwort und löschte sie gleich wieder. Und dann war es plötzlich so schwer. Auch nur einen einzigen Buchstaben zu schreiben war, wie einen Gipfel zu bezwingen. Sie drehte und wendete die Wörter.
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