Rebecka Martinsson 03 - Der schwarze Steg
Keins war gut genug.
Was hätte die Großmutter über ihn gesagt? Sie hätte ihn für einen Knaben gehalten. Und das wäre sicher richtig gewesen. Er war wie einer von Papas Jagdhunden, der nicht aufhören wollte zu spielen. Er wurde niemals richtig erwachsen, jagte durch den Wald und brachte für Papa Stöckchen zurück. Am Ende wurde er erschossen. Kein Platz für einen untauglichen Hund in diesem Haus.
Der Großmutter wären Måns’ weiße, weiche Hände aufgefallen. Sie hätte nichts gesagt, hätte sich aber ihren Teil gedacht. Welpenspiel statt anständiger Arbeit. Segeln und Laufband im Fitness-Zentrum. Rebecka konnte sich noch immer an eine zweitägige Verhandlung erinnern, bei der er nur gestöhnt hatte, weil er draußen im Schärengürtel mit seinem Eissegler umgekippt war, er war am ganzen Leib mit blauen Flecken übersät gewesen.
Ganz anders als Papa und die anderen im Dorf.
Sie sah Papa und Onkel Affe in der Küche der Großmutter vor sich. Sie trinken Bier. Onkel Affe schneidet für seine Hündin Freja rohe Bockwurstscheiben ab. Er hält ihr eine Wurstscheibe vor die Nase und fragt: »Was machen die Mädchen in Stockholm?« Und Freja legt sich auf den Rücken und streckt die Beine in die Luft.
Rebecka gefallen die Hände dieser Männer. Sie taugen zu jeder Art Arbeit. Ihre Fingerspitzen sind immer ein wenig vernarbt und schwarz von der Art Schmutz, gegen die keine Seife etwas ausrichten kann, immer muss irgendeine Maschine geschmiert werden.
Immer darf sie in Papas Armen sitzen. Solange sie will. Bei Mama stehen die Chancen eins zu eins. »Ach, du bist so schwer«, sagt sie. Oder: »Lass mich meinen Kaffee in Ruhe trinken.«
Papa riecht nach Schweiß und warmer Baumwolle und ein wenig nach Motoröl. Sie bohrt die Nase in die Bartstoppeln an seinem Hals. Sein Gesicht, sein Hals und seine Hände sind immer braun gebrannt. Aber ansonsten ist er weiß wie Papier. Er sonnt sich nie. Das tut kein Mann im Dorf, nur die Frauen machen es. Die legen sich ab und zu in den Liegestuhl. Jäten im Bikini Unkraut.
Manchmal kann auch Papa sich ins Gras legen, den einen Arm unter den Kopf, die Schirmmütze übers Gesicht gelegt. Bauer Martinsson. Das war ab und zu das Recht und Privileg des Mannes, sich auf dem eigenen Grundstück ins Gras zu legen. Papa arbeitet hart. Fährt nachts die Forstmaschine, damit die teure Investition sich lohnt. Erledigt die Männerarbeit auf dem Hof. Macht Extraschichten für einen Rohrleger in der Stadt, wenn es im Wald nicht genug Arbeit gibt.
Aber ab und zu legt er sich ein Stündchen hin. Im Winter auf das Küchensofa. Im Sommer eben ins Gras. Der älteste Hund, Jussi, kommt oft und legt sich neben ihn, und bald hat er Rebecka im anderen Arm. Die Sonne wärmt. Die Katzenschwänze wachsen im kärglichen Sandboden und duften würzig. Ansonsten wächst hier nicht viel. Jedenfalls nichts, was duftet. Man muss immer ganz dicht herangehen, um etwas zu riechen.
Nie hat Rebecka ihre Großmutter so liegen sehen. Die ruhte sich nie aus. Und wenn sie das vor dem Haus gemacht hätte. Dann hätten die Leute geglaubt, sie habe den Verstand verloren. Oder sie ganz einfach für tot gehalten.
Nein. Måns hätte bei der Großmutter als fremder Vogel gegolten. Ein Stockholmer, der keinen Motor auseinandernehmen kann, der kein Fischnetz auslegen und nicht einmal Heu über die Reuter hängen kann. Und reich noch dazu. Onkel Affes Frau, Inga-Lill, wäre nervös geworden und hätte mit Servietten gedeckt. Und alle hätten über Rebecka gedacht: Zu wem gehört sie denn jetzt?
Das taten sie ja ohnehin schon. Immer musste sie beweisen, dass sie sich nicht verändert hatte. Immer sagten die Leute: Das ist doch nichts Besonderes … du bist sicher Besseres gewöhnt. Und dann musste sie das Essen ganz besonders loben, musste beteuern, dass sie schon lange keinen Barsch mehr gegessen habe, keinen so leckeren. Die anderen durften in Ruhe essen. Und dann wurde noch deutlicher, dass sie sich Stockholmer Manieren zugelegt hatte, diese übertriebenen Komplimente.
In Papa hatte es ein Gewicht gegeben, das Måns fehlte. Sie wollte nicht sagen, eine Tiefe, nicht, dass Måns oberflächlich wäre. Aber Måns hatte sich niemals um seinen Lebensunterhalt zu sorgen brauchen, Angst zu haben, es könnten nicht genügend Aufträge einlaufen, um die Raten für die Forstmaschine zu bezahlen. Und es gibt noch einen anderen Unterschied. Etwas, das nicht von den Sorgen kommt. Einen Hauch von Wehmut.
Diese Wehmut, dachte
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