Rebecka Martinsson 03 - Der schwarze Steg
waren das dreiköpfige Taucherteam und Sven-Erik Stålnacke eingetroffen. Sie hatten ein Loch ins Eis gesägt. Es hatte einen Durchmesser von einem Meter. Sie hatten mit elektrischen Bohrern und Motorsägen gearbeitet und danach mit großer Mühe die schwere Eisscheibe aus dem Loch gehievt. Anna-Maria Mella und Sven-Erik Stålnacke sowie die stellvertretende Staatsanwältin Rebecka Martinsson hatten den Tauchern beim Zerren und Tragen geholfen. Die Sonne hatte gestochen, und unter ihren nassen Pullovern schmerzten ihre Rückenmuskeln vor Anstrengung.
Jetzt war die Sonne auf dem Rückzug, die Temperatur sank, und sie fingen an zu frieren.
»Wir müssen absperren und alles genau kennzeichnen, damit uns niemand reinfällt«, sagte Sven-Erik Stålnacke.
»Es ist wirklich ein Glück, dass es gerade hier war«, sagte der eine Taucher zu Anna-Maria und Sven-Erik Stålnacke. »Hier dürfte es eigentlich nicht so tief sein, aber das werden wir ja sehen.«
Der Reservetaucher saß auf seiner Sitzunterlage am Rand des Loches. Er hob die Hand zum Gruß, als sein Kollege mit der 75-Watt-Lampe unter dem Eis verschwand. Der dritte Kollege gab Leine, Luftblasen stiegen an die Oberfläche, der Taucher schwamm unter dem Eis auf die Arche zu, in der Inna Wattrang gefunden worden war.
Anna-Maria fröstelte. Die feuchte Kleidung zog ihr die Wärme aus dem Leib. Sie hätte eine Runde laufen müssen, um warm zu bleiben, aber das brachte sie einfach nicht über sich.
Anders als Rebecka. Die lief in der Schneemobilspur los. Bald würde die Dämmerung einsetzen.
»Sie hält uns natürlich für eine Bande von Trotteln«, sagte Anna-Maria zu Sven-Erik Stålnacke. »Zuerst muss sie uns alles Mögliche über Fusionen und Ausbeute von Kapitalanlagen erklären, und jetzt bringt sie uns bei, wie wir unsere Arbeit zu tun haben.«
»Nicht doch«, sagte Sven-Erik, »ihr ist einfach dieser Gedanke schneller gekommen als dir, das wirst du doch wohl noch ertragen können?«
»Nein«, sagte Anna-Maria nur halbwegs ernst.
Nach zwölf Minuten kam der Taucher wieder an die Oberfläche. Er nahm den Regulator aus dem Mund.
»Auf dem Boden war nichts, soweit ich sehen konnte«, sagte er. »Aber ich habe das hier gefunden, keine Ahnung, ob euch das weiterhilft. Das schwamm fünfzehn Meter von der Arche entfernt unter dem Eis herum.«
Er warf ein Stoffbündel auf das Eis. Der Leinenmann und der Reservetaucher halfen ihrem Kollegen aus dem Loch, während Anna-Maria und Sven-Erik das Bündel auswickelten.
Es war ein beiger Herrenmantel aus Popeline. Winddicht, mit Gürtel und dünnem Futter.
»Muss ja nichts zu bedeuten haben«, sagte der Taucher.
Er hielt jetzt einen Becher mit heißem Kaffee in den Händen.
»Die Leute werfen doch allen möglichen Scheiß ins Wasser. Verdammt, da unten sieht das vielleicht aus. Alte Frikadellenpackungen, Plastiktüten …«
»Ich glaube, das hat etwas zu bedeuten«, sagte Anna-Maria Mella zögernd.
An der linken Schulter und auf dem Rücken des Mantels gab es schwache rosa Flecken.
»Blut?«, fragte Sven-Erik.
»Dein Wort in Gottes Ohr«, sagte Anna-Maria und hob die Hände in einem gespielten Gebet zu höheren Mächten empor.
»Mach, dass es Blut ist!«
Dienstag, 18. März 2005
DIE LINDENALLEE ZU Mauri Kallis’ Wohnsitz, dem Herrenhof Regla, streckte sich von der Landstraße aus über anderthalb Kilometer dahin. Die Bäume waren alte Damen von über zweihundert Jahren, trotzdem graziös, einige aber vollständig hohl. Sie standen adrett immer zwei und zwei da und belehrten Besucher darüber, dass hier eine viele hundert Jahre alte Ordnung herrschte. Hier saß man manierlich am Esstisch und pflegte einen gebildeten und kultivierten Umgangston.
Nach einem Kilometer wurde die Allee von einem Eisentor durchbrochen. Vierhundert Meter weiter folgte noch ein Eisentor in einer weiß gekalkten Mauer, die sich um das gesamte Hofgelände herumzog. Die Eisentore waren kunstreiche Schmiedearbeiten, zwei Meter hoch, und wurden per Fernsteuerung von den Autos der Bewohner aus geöffnet. Besucher mussten vor dem äußeren Tor anhalten und ein Tortelefon betätigen.
Das Hauptgebäude war ein weiß gekalktes Haus mit Schieferdach, Säulen zu beiden Seiten des Eingangs, Flügeln und Bleiglasfenstern. Die Einrichtung folgte dem Stil der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Nur die Badezimmer waren hochmodern und von Philippe Starck entworfen.
Regla war so schön, dass Mauri es in den ersten Sommern kaum ertragen konnte. Im
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