Rebecka Martinsson 03 - Der schwarze Steg
Verwandte, der …«
Er öffnet den Mund, um die anderen Schwestern zu erwähnen, aber Inna lässt sich nicht wieder von ihm unterbrechen.
»… der die Möglichkeit hat, sich um sie zu kümmern. Und gerade jetzt ist dein Name brandheiß … ach, das habe ich ja noch gar nicht erwähnt, Business Week will einen großen Artikel über dich bringen …«
»Keine Interviews!«
»… aber zu einer Fotosession musst du einfach gehen. Und egal, wenn es herauskommt, dass du eine Schwester hast, die nicht weiß, wohin …«
Sie gewinnt. Und Mauri denkt, als sie an Bord der Maschine nach Vancouver gehen, dass es doch eigentlich keine Rolle spielt. Regla ist kein Zuhause, in das jemand eindringen kann. Auf Regla hat er Ebba und die Jungen und Diddi mit schwangerer Frau und Inna. Auf Regla dreht sich das Meiste um Repräsentation. Dort kann man jagen, mit dem Boot rausfahren und Gäste bewirten.
Er spürt, wie die Medienaufmerksamkeit der letzten Zeit und das soziale Leben, das damit einhergeht, an ihm zehren, viel mehr, als die Arbeit es jemals getan hat. Diese vielen Menschen, die ihm die Hand schütteln und plaudern wollen, woher kommen die? Er gibt sich die ganze Zeit ungeheure Mühe. Um ruhig und freundlich zu bleiben. Immer hat Inna neben ihm gestanden und ihm souffliert, wen er vor sich hatte und warum. Ohne sie wäre es niemals gegangen. Ruhe würde ihm guttun, merkt er. In letzter Zeit fühlt er sich immer wieder vollständig leer, als ob alle, die ihm begegnen, ein kleines Stück von ihm mitnähmen. Manchmal hat er Angst, plötzlich nicht mehr zu wissen, mit wem er in einer Besprechung sitzt und warum. Ab und zu ist er einfach nur wütend, wie ein Tier, das knurren möchte, angreifen und sich beschützen. Er ärgert sich. Darüber, dass jemand sein Sakko zugeknöpft lässt, um zu verbergen, dass er das Hemd von gestern trägt. Darüber, dass ein anderer sich nach dem Essen in den Zähnen herumstochert und den widerlichen, benutzten Zahnstocher deutlich sichtbar auf den Tellerrand legt. Darüber, dass jemand sich für ganz besonders toll hält, während ein anderer zu sehr kriecht.
Er freut sich auf die Flugreise über den Atlantik. Weil er irgendwohin unterwegs ist, wird er nicht ruhelos. Er sitzt still da, liest, schläft, sieht sich einen Film an, trinkt etwas. Er und Inna.
Mauri Kallis betrachtete sich im Spiegel. Der Lärm über seinem Kopf ging weiter.
Er hatte dieses Spiel immer geliebt. Große Geschäfte zu machen. Das war seine Art, sich mit anderen zu messen. Wer bei seinem Tod das meiste Geld hat, hat gewonnen.
Jetzt schien das alles keine Rolle mehr zu spielen. Etwas hatte ihn eingeholt. Etwas Gewichtiges. Es hatte sich immer in der Nähe gehalten, gleich hinter ihm. Ein Sog zurück zu den Plattenbauten und Terrassen.
Mir entgleitet alles, dachte er. Ich lasse los.
Inna hatte diese rückwärts ziehende Kraft auf Distanz gehalten.
Er wollte jetzt nicht allein sein. Sein Arbeitstag begann erst in zwei Stunden. Er schaute zur Decke hoch, hörte eine Hantel über den Boden rollen.
Er würde hochgehen und ein bisschen reden. Oder einfach eine Weile dort sein.
Er zog seinen Schlafrock an und ging zu seiner Schwester.
ESTER KALLIS ENTSTEHT auf einer geschlossenen Abteilung. Die Leiterin von Station P 12 im psychiatrischen Krankenhaus von Umeå berichtet davon bei der allgemeinen Besprechung. Britta Kallis ist in der fünfzehnten Woche.
Die anderen Stationsleiter erwachen zum Leben und schlürfen ein wenig Kaffee. Besser trinken, solange er so heiß ist, dass man den Geschmack nicht wahrnimmt. Das wird eine interessante Fortsetzungsgeschichte werden. Und Gott sei Dank ist es nicht ihr Problem.
Als die Stationsleiterin fertig ist, legt Oberarzt Nils Gunnarsson die Hände um den Kopf. Er zieht den Mund zu einer runzligen Hamstergrimasse zusammen.
»Ach was, so so, ach was«, sagt er nachdenklich.
Wie ein Küken in seiner Schale, denkt einer seiner Kollegen in einem plötzlichen Anflug von Zärtlichkeit.
Der Oberarzt ist eine Offenbarung. Seine weißen Haare sind viel zu lang. Seine unangenehm moderne Brille hat flaschenbodendicke Gläser, und er hat die schlechte Angewohnheit, die Finger auf die Gläser zu pressen, um die Brille hochzuschieben, wenn sie zu weit über seine Nase gerutscht ist. Es kommt vor, dass neue Angestellte des Krankenhauses ihn daran hindern wollen, seine Station zu verlassen, weil sie ihn für einen Patienten halten.
»Wer ist der Vater?«
»Britta sagt, Ajay
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