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Rebecka Martinsson 03 - Der schwarze Steg

Rebecka Martinsson 03 - Der schwarze Steg

Titel: Rebecka Martinsson 03 - Der schwarze Steg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åsa Larsson
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kürzerer Zeit das Lieben lernen.
    Damals habe ich geweint, dachte Ester. Aber sie hat mich gelehrt, wozu man Bilder benutzen kann.
     
    »Mal ihn«, sagt Mutter.
    Vater und Antte sind noch nicht nach Hause gekommen. Ganz schnell hole ich Papier und Bleistift. Und schon nach den ersten Strichen findet das heftige Gefühl Ruhe. Die Trauer wird dumpf und stumm in meiner Brust. Meine Hand beansprucht mein Gehirn, und die Gefühle, das Weinen, müssen Platz machen.
    Als Vater nach Hause kommt, weine ich noch ein bisschen, vor allem, weil es eine Möglichkeit ist, Aufmerksamkeit zu erregen. Die Zeichnung des toten Nasti liegt schon in meiner Schachtel im Atelier. Vater tröstet. Ich darf auf seinem Schoß sitzen. Antte ist alles egal. Ein so großer Junge trauert nicht um einen Lemming.
    »Weißt du«, sagt Vater. »Die sind so empfindlich. Die können unsere vielen Bazillereien nicht vertragen. Wir legen ihn in den Holzschuppen und begraben ihn im Sommer.«
    In den folgenden Wochen mache ich drei Zeichnungen vom Holzschuppen. Mit dicker Schneedecke auf dem Dach. Mit schwarzer Finsternis hinter den kleinen Fenstern mit den Eisblumen. Nur Mutter und ich begreifen, dass es eigentlich Bilder von Nasti sind. Er liegt dort in einer Schachtel.
     
    »Du solltest wieder malen«, sagte Mauri.
    Ester wechselte die Gewichte an der Stange. Sie sah ihre Beine an. Ihre Oberschenkel wurden jetzt sichtlich dicker. Quadriceps femoris. Sie müsste mehr Proteine zu sich nehmen.
    Mauri suchte sich einige Zeichnungen von Esters Tante heraus. Der Schwester der Pflegemutter. Auf einer saß sie am Küchentisch und starrte mit resignierter Miene das Telefon an. Auf einer anderen lag sie auf dem Rücken und las mit zufriedenem Gesichtsausdruck einen Roman. In der einen Hand hielt sie ein Messer, auf das sie ein Stück Dörrfleisch gespießt hatte.
    Er wollte Ester schon fragen, ob sie von der Tante etwas gehört hatte, tat es dann aber doch nicht. Was waren das für schreckliche Menschen, die Tante und der Pflegevater!
    Ester bog unter der Stange die Knie. Sie sah Mauri an. Sah, wie er ganz schnell die Stirn runzelte. Er durfte der Tante nicht böse sein. Wo sollte sie sich denn jetzt in den Kampfpausen verkriechen? Sie war ebenso heimatlos wie Ester.
     
    In regelmäßigen Abständen kam die Tante nach Rensjön zu Besuch. Meistens rief sie vorher die Mutter an.
    Es klingelt schon die ganze Woche. Mutter hat den Hörer zwischen Schulter und Ohr eingeklemmt und zieht an der Schnur, so weit wie möglich.
    »Mmm«, sagt sie und versucht, Spülbecken und Mülleimer und Hundenapf zu erreichen, sie kann nicht tatenlos herumsitzen und reden, das ist unmöglich.
    Ab und zu sagt sie: »Er ist ein Idiot!«
    Aber meistens bleibt sie stumm. Lange Zeit hört sie zu. Ich höre, dass die Tante am anderen Ende der Leitung verzweifelt weint. Manchmal flucht sie.
    Ich hole für Mutter eine Verlängerungsschnur. Vater ärgert sich. Er fühlt sich durch diese endlosen Telefongespräche vereinnahmt. Wenn es klingelt, erhebt er sich und geht in die Küche.
    Dann sagt Mutter eines Tages:
    »Marit kommt.«
    »Ach, ist es mal wieder so weit«, sagt Vater.
    Er zieht seinen Schneemobilanzug an und verschwindet, ohne zu sagen, wohin er will. Kommt lange nach dem Abendessen nach Hause. Mutter macht sein Essen in der Mikrowelle heiß. Beide schweigen. Wenn es im restlichen Haus nicht so kalt wäre, wären Antte und ich ins Atelier oder auf den leer stehenden Dachboden geflohen, wo steif gefroren die Wäsche hängt und der Reif wie Farn auf dem Tisch liegt.
    Aber so sitzen wir in der Küche. Ich sehe ihren Rücken und die Wanduhr an. Schließlich steht Antte auf und schaltet das Radio ein. Dann geht er ins Wohnzimmer, dreht den Fernseher an und spielt ein Fußballcomputerspiel. Trotzdem übertönt die Stille alle anderen Geräusche. Vater glotzt das Telefon an.
    Ich freue mich trotzdem. Meine Tante ist ein schöner Vogel. Sie hat eine ganze Tasche voller Schminke und Parfüms, die ich ausprobieren kann, wenn ich vorsichtig bin. Mutter ist anders, wenn die Tante da ist. Lacht häufiger. Über allen möglichen Unsinn.
    Wenn ich noch zeichnen könnte, würde ich alle Bilder von ihr neu zeichnen. Sie dürfte dann genauso aussehen, wie sie das möchte. Im Gesicht wie ein kleines Mädchen. Mit weicherem Mund. Weniger Striche zwischen den Augenbrauen und zwischen Nasenflügeln und Mundwinkeln. Und ich würde mir nicht die Mühe geben, das fächerförmige Netz aus feinen Runzeln zu

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