Rebecka Martinsson 03 - Der schwarze Steg
Bett. Sie legt sich den Finger an die Lippen, ihre Augen leuchten in der Dunkelheit unternehmungslustig.
Der Regen prasselt gegen das Fenster, und Inna ist durchnässt. Mauri murmelt im Schlaf ein wenig und dreht sich auf die andere Seite. Ebba und Inna sehen einander an und halten die Luft an. Als sein Atem wieder ruhig und regelmäßig ist, steht Ebba vorsichtig auf und schleicht hinter Inna her in die Küche.
Sie sitzen in der Küche. Ebba holt ein Handtuch. Inna trocknet sich damit die Haare, will aber keine trockene Kleidung. Sie öffnen eine Flasche Wein.
»Aber wie bist du reingekommen?«, fragt Ebba.
»Ich bin durch euer Schlafzimmerfenster geklettert. Das stand als einziges offen.«
»Du bist verrückt. Du hättest dir den Hals brechen können. Und was ist mit dem Tor? Dem Wächter?«
Ein Schmied aus der Umgebung hat soeben die ferngesteuerten Eisentore angebracht. Inna hat im Auto keine Fernbedienung. Die Mauer um den Herrensitz ist zwei Meter hoch.
»Ich habe den Wagen draußen stehen lassen und bin hinübergeklettert. Mauri sollte sich vielleicht überlegen, ob er nicht die Wachgesellschaft wechseln will.«
Jetzt jagt ein Blitz über den Himmel. Nur zwei Sekunden darauf bricht der Donner los.
»Komm, wir gehen baden«, sagt Inna.
»Ist das nicht gefährlich?«
Inna lächelt und zieht die Schultern bis zu den Ohren hoch.
»Doch.«
Sie laufen zum Steg hinunter. Auf dem Grundstück gibt es zwei Stege. Der alte liegt ein Stück entfernt, hinter einem dichten Wald. Ebba möchte sich irgendwann einmal dort ein Badehaus bauen. Sie hat viele Pläne für Regla.
Der Regen strömt hernieder. Ebbas Nachthemd wird triefnass und klebt an ihren Oberschenkeln. Sie ziehen sich auf dem Steg aus. Ebba ist schmächtig und flachbrüstig. Inna hat Kurven wie ein Filmstar aus den Fünfzigerjahren. Der Himmel funkelt. Innas Zähne leuchten weiß in Dunkelheit und Regen. Sie springt vom Steg. Ebba bleibt zögernd und fröstelnd dort stehen. Der Regen peitscht das Wasser so auf, dass es zu kochen scheint.
»Spring rein, es ist warm«, ruft Inna und tritt Wasser.
Und Ebba springt.
Das Wasser kommt ihr wirklich warm vor, und sie hört sofort auf zu frieren.
Es ist ein magisches Gefühl. Sie schwimmen hin und her wie zwei Kinder, einfach hin und her. Tauchen unter, kommen prustend wieder an die Wasseroberfläche. Der Regen trommelt auf ihre Köpfe, die Nachtluft ist kühl, aber unter der Wasseroberfläche ist es warm und behaglich wie in einer Badewanne. Das Gewitter zieht über sie hinweg, ab und zu kann Ebba den Abstand zwischen Blitz und Donner schon gar nicht mehr zählen.
Vielleicht sterbe ich hier, denkt sie.
Und gerade in diesem Moment wäre das nicht so schlimm.
Ebba nahm sich eine Tasse Kaffee und einen großen Teller Obstsalat. Mauri und Mikael Wiik redeten über die Sicherheitsvorkehrungen vor dem Essen am Freitag. Es wurden ausländische Gäste erwartet. Ebba hörte nicht zu und ließ ihren Gedanken an Inna noch einmal ihren Lauf.
Anfangs waren sie Freundinnen gewesen. Inna hatte Ebba dazu gebracht, sich als etwas Besonderes zu empfinden.
Nichts bringt zwei Frauen enger zusammen, als Erfahrungen mit ihren verrückten Müttern auszutauschen. Ihre Mütter waren besessen von der Sippe und sammelten Schrott. Inna erzählte vom Küchenschrank ihrer Mutter. Voll gestopft mit altem ostindischem Porzellan, repariert mit Leim und Metallklammern. Und von den vielen Scherben, die um keinen Preis weggeworfen werden durften. Ebba hatte die Bibliothek auf Vikstaholm dagegen angeführt, die kaum noch zu betreten war. Überall standen Stahlregale voller alter Bücher und Handschriften, um die niemand sich kümmern konnte und die allen ein schlechtes Gewissen bereiteten, weil die Bücher ohne Handschuhe angefasst worden waren und weil Wespen an der Zellulose nagten und weil sie jedes Jahr mehr zerfielen.
»Und ich will ihren alten Schrott nicht haben«, hatte Ebba lachend gesagt.
Inna hatte ihr geholfen, der Mutter zu trotzen, die gern gegen eine gewisse finanzielle Entschädigung einen Teil des Kulturerbes losgeworden wäre, der neue Schwiegersohn hatte doch Geld.
Sie war wie eine Schwester und eine beste Freundin, dachte Ebba.
Danach wurde es anders. Als Ebba und Mauri ihr erstes Kind bekamen. Er reiste mehr als früher. Wenn er zu Hause war, saß er die ganze Zeit am Telefon. Oder hing seinen Gedanken nach.
Sie konnte das nicht verstehen. Dass sein eigener Sohn ihm egal zu sein schien.
»Diese Zeit
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