Rebecka Martinsson 04 - Bis dein Zorn sich legt
sie ins Haus.
Jetzt nehmen sie Tores Kleider mit. Ich weiß, sie versuchen, dort Blutspritzer von Hjörleifur zu finden.
Tore kommt dazu und sieht sich alles an. Zuerst sagt er nichts, er versucht den Blick der Polizistin aufzufangen, aber sie sieht ihn nicht an. Also lächelt er spöttisch ihre Kollegen an und fragt, ob sie nicht auch noch seine Mülltonne durchgehen wollen. Und genau das tun sie. Tores Frau schweigt. Sie wagt nicht zu fragen, wonach hier gesucht wird. Sie hat gelernt, Tore nicht zu provozieren.
Der Rabe krächzt und kollert und plappert, er scheint allerlei Geräusche an mir auszuprobieren, um zu sehen, ob eines davon Wirkung zeigt. Ich kann nicht antworten. Dann hebt er ab und fliegt hundertfünfzig Meter weiter zu Hjalmars Haus. Setzt sich auf die große Birke und ruft nach mir. Sofort sitze ich neben ihm auf dem Ast.
Als die Polizisten bei ihm klingeln, öffnet Hjalmar die Tür. Er sieht verschlafen aus. Sein Haarkranz ähnelt einem struppigen Büschel Wintergras. Seine Bartstoppeln werfen einen rußigen Schatten über seine Wangen und seinen Hals. Sein Bauch wölbt sich unter dem zeltweiten T-Shirt wie der eines Mastschweins. Als die Polizisten ihn freundlich bitten, draußen zu warten, bis sie fertig sind, geht er nur mit einer kurzen Unterhose bekleidet aus dem Haus. Der ältere Polizist mit dem großen Schnurrbart erbarmt sich und erlaubt ihm, im Streifenwagen zu warten.
Ich lande in den Haaren der Staatsanwältin. Ich bin wie ein Rabe auf ihrem Kopf. Ich ziehe meine Krallen durch ihre dunklen Strähnen. Ich drehe ihren Kopf zu Hjalmar hin. Sie sieht ihn im Streifenwagen sitzen und blinzeln. Sie öffnet die Autotür und redet mit ihm. Ich hacke auf ihren Kopf ein. Sie muss jetzt aufwachen.
Fred Olsson, Tommy Rantakyrö und Sven-Erik Stålnacke trugen Kleider aus Hjalmar Krekulas Haus, durchsuchten die Garage nach möglichen Mordwaffen. Nach anderthalb Stunden konnten sie melden, dass sie fertig seien.
Rebecka Martinsson betrachtete Hjalmar Krekula. Sie sah, wie er sich an das Autofenster lehnte. Es sah fast aus, als sei er kurz vor dem Einschlafen. Seine Augen waren halb geschlossen.
Dann schien er zu spüren, dass sie ihn ansah. Langsam drehte er den Kopf und sah sie durch die Fensterscheibe an.
Sie fuhr zusammen. Sein Blick packte sie wie ein Hecht, der ohne nachzudenken einen Haken verschlingt. Und ihr Blick packte im Gegenzug ihn. Wie der Haken, der den Gaumen des Hechts durchbohrt.
In ihrem Bewusstsein leuchteten immer wieder Bilder auf.
Niemand hatte ihn berührt, seit er ein sehr kleiner Junge war. Qual und Schmerz waren in dieses viele Fett eingebettet. Von dem hier kann er sich nicht wegfressen. Er hat jetzt das Ende des Wegs erreicht.
Aber ich habe ihn berührt, dachte sie, auch wenn es eigentlich kein Gedanke war, sondern eine Erkenntnis. Er war klein. Ich war auch nicht alt. Fünfzehn vielleicht. Ich habe ihn unter den Armen gehalten und zum Himmel hochgehoben. Die Sonne stand im Zenit. Trockener Boden unter meinen nackten Füßen. Er ist auf meinem Arm eingeschlafen. War er mein kleiner Bruder? Mein Kind? Meine kleine Schwester?
Ihr Herz hätte vor Mitleid bersten mögen. Sie hätte gern die Hand an die Fensterscheibe gelegt. Und ihn auf der anderen Seite der Scheibe die Hand dagegenhalten lassen.
»Hallo«, sagte Fred Olsson neben ihr. »Ich habe gesagt, dass wir fertig sind.«
Er folgte ihrem Blick und landete bei Hjalmar Krekula.
»Was für ein verdammtes Schwein«, sagte er verbissen. »Geschieht ihm ganz recht. Haben die denn gedacht, sie könnten sich einfach ungestraft diese miesen Scherze mit Mella erlauben? Jetzt soll er erst mal ohne Hosenträger rumsitzen.«
Rebecka Martinsson nickte zerstreut. Dann ging sie zu Sven-Eriks Auto und öffnete die Tür zum Rücksitz.
»Wir sind fertig«, sagte sie zu Hjalmar Krekula.
Er saß da mit seinem speckigen Körper und sah sie an. Sven-Erik hatte eine rot-schwarz karierte Decke aus synthetischem Material über seine nackten Beine gelegt.
Sie haben Anna-Marias Reifen zerschnitten, rief Rebecka sich in Erinnerung. Haben ihr Telefon geklaut und Jenny in den Eisenbahnpark geschickt, um ihr eine Scheißangst einzujagen. Ich muss mich zusammenreißen.
»Sie müssen zur Vernehmung mit auf die Wache kommen«, sagte sie. »Sie sind nicht festgenommen, nach der Vernehmung wird jemand Sie nach Hause fahren.«
Sie unterdrückte ihr Mitleid. Ließ sich nichts anmerken. Ihr Blick landete bei einem Raben, der auf dem Dach
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